Blutige Rache
in Kopf, Arm oder Bein zu bekommen, weil er sich der Staatsgewalt widersetzte. Wigge war mehrmals einer strafrechtlichen Verfolgung nur knapp entgangen.
Mit anderen Worten: ein anderes Kaliber als Sanderson oder Utecht.
Doch der Schütze würde mit ihm fertig werden, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Vorausgesetzt es gelang ihm, Wigge ein paar Sekunden lang vor den Lauf zu kriegen. Er hatte ein Gewehr, einen bleiverstärkten Schlagstock und eine Rolle Isolierband. Manchmal musste man kalkulierte Risiken eingehen, und wenn man alles gründlich genug vorbereitete, kam vielleicht noch ein Quäntchen Glück dazu.
Wigge wechselte auf die linke Spur, um die Abfahrt zur I-35 in nördlicher Richtung zu nehmen, und beschleunigte. Der Schütze blieb an ihm dran.
Sie verließen das Stadtgebiet. Der Schütze gab ihre Position über Handy durch: »Er ist an der 694 vorbei, fährt nach wie vor in Richtung Norden.«
Der Scout antwortete: »Bin hinter euch, übernehme.«
Der Scout, der einen nagelneuen gemieteten Audi A6 lenkte, winkte dem Schützen im Vorbeifahren kurz zu. Eine Minute später bestätigte er per Handy: »Okay, ich hab ihn.«
So folgten sie Wigge einige Zeit, bis der Scout sich wieder meldete: »Er wird langsamer. Vielleicht sucht er was - ich überhole ihn.«
Auch der Schütze drosselte das Tempo. Der Scout informierte ihn: »Bin an ihm vorbei. Er sieht sich definitiv um, fährt knapp achtzig.«
Der Schütze verlangsamte ebenfalls auf knapp achtzig Stundenkilometer. So ging es eine ganze Weile hin und her, bis Wigge irgendwann wieder beschleunigte.
Schütze und Scout blieben ihm auf den Fersen, ließen ihn aber zwischen Ausfahrten kurzfristig aus den Augen, weil sie sich auf das GPS des Audi verlassen konnten. Sie befanden sich etwa fünfundvierzig Kilometer außerhalb von St. Paul, dann sechzig und schon bald über siebzig.
Da meldete sich der Scout: »Er fährt ab, zur Raststelle. Ich überhole, überlasse ihn dir und komme zurück, so schnell ich kann.«
Der Schütze drosselte das Tempo erneut, lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen und hielt an, weil er nicht unmittelbar hinter Wigge auf den Parkplatz fahren wollte. Wigge würde bestimmt die eintreffenden Fahrzeuge beobachten.
Er zwang sich, drei Minuten zu warten, bevor er sich wieder in den fließenden Verkehr einordnete und das letzte Stück zur Raststätte, einem runden, hell erleuchteten pavillonartigen Gebäude mit Zeitungsständern davor, zurücklegte.
Wigge ging im schwachen Schein einiger kugelförmiger Lampen von dem Pavillon weg in Richtung eines Picknicktischs, an dem der Indianer, Bunton, saß.
Volltreffer.
Der Schütze rief den Scout an: »Wir haben Bunton.«
Seine Gedanken überschlugen sich. Er kannte eine ganze Reihe von Techniken zur Gefangennahme von zwei Männern, doch die Bedingungen hier waren schwierig. Er musste sie davon überzeugen, dass sie ihre Haut retten konnten, wenn sie kooperierten …
Während Wigge auf Bunton zuging, stand dieser auf, streckte sich und entfernte sich. Die Raststätte wurde auf der
Ostseite von einer Schlucht begrenzt, an deren Rand dichter Eichen- und Ahornwald stand. Die beiden Männer schlenderten zu den Bäumen. Als Bunton sie erreichte, wandte er kurz den Kopf, bevor er auf einem Pfad verschwand.
Wenig später folgte Wigge ihm. Der Schütze wartete, fünfzehn, dreißig Sekunden, bis er aus dem Van kletterte. Im Schutz der Tür steckte er seine Pistole in den Hosenbund, setzte eine Baseballmütze mit der Aufschrift »University of Iowa« auf und schlenderte Wigge nach.
Der Schütze passierte die Stelle, an der Wigge den Weg verlassen hatte, und ging bis zum Ende des mit etwa fünfzehn Autos belegten Parkplatzes. Zwischen den Bäumen schien sich ein weiterer Pavillon zu befinden. Kurz darauf sah er ein Feuerzeug aufflammen. Da waren sie also. Der Schütze betrat den Wald. Vier Schritte, stopp. Ein Dutzend weitere, immer Bäume zwischen sich und seinen Zielen. Dann hörte er ihre Stimmen. Er könnte sie beide an Ort und Stelle erledigen. Wigge, den früheren Polizisten, musste er besonders im Auge behalten, denn der war möglicherweise bewaffnet. Noch ein Schritt …
»Hey!«, rief jemand hinter ihm. Als er sich umdrehte, entdeckte er einen groß gewachsenen Mann mit einer auf ihn gerichteten Waffe in der Hand. Ohne zu überlegen, zog der Schütze die Pistole aus dem Hosenbund und feuerte viermal auf den Kopf des Mannes.
Der Schütze war Profi und folgte seinen Instinkten.
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