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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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und feuerte ihn auf den Boden. Die Klappe sprang auf, die CD fiel mitsamt Batterien heraus. Dann nahm sie eine Obstschale voller Apfelsinen und Bananen und warf sie gegen die Wand. Nicht in seine Richtung, genau in die entgegengesetzte.
    Er ertappte sich bei einem leichten Grinsen. Immerhin war die Unklarheit jetzt weg. Es war eindeutig Wut. Je mehr sie ausrastete, desto ruhiger würde er werden. Es hilft, wenn die anderen cholerisch sind, den eigenen Verstand zurückzugewinnen. Doch Anja sackte zusammen, ging auf die Knie.
    Sternenberg erschrak. Er ging auf sie zu, nahm sie an den Armen. Sie riss sich los. Ihre Augen liefen über vor Tränen.
    » Anja …! Sag mir, was los ist. «
    Sie robbte zum Bett, lehnte sich an den Rand und schnäuzte sich. Sie knüllte ihr Taschentuch und schien nachzudenken, wie sie anfangen könnte. Das war der Moment, der ihm schon immer das Herz gebrochen hatte. Bei beiden Töchtern.
    Doch diesmal war es anders als in den Jahren zuvor. Sie hörte schlagartig auf zu weinen und starrte ihn an. Sie sprang auf und lief ans Fenster. Dort drehte sie sich um und sprach mit fester Stimme.
    » Warum hast du uns nichts erzählt? « , fragte sie.
    Er hob zurückfragend die Arme.
    » Die Familie Sternenberg … « , begann sie und machte eine Pause, als müsste er weiterwissen.
    » Schätzchen, was meinst du? Geht es um Julia? «
    Sie schob ungeduldig das Kinn vor.
    » Hat es dich verletzt, dass ich dir nicht erzählt habe, mit wem ich zusammen bin? «
    » Du kannst ficken, wen du willst! «
    » Hey! « Dass er sie so laut ermahnte, hing vor allem mit der Überraschung zusammen. Seine Töchter hatten sich tatsächlich nie eingemischt, wenn es um seine Frauengeschichten ging. Aber die Wortwahl war für Anja völlig ungewöhnlich. Selbst im heftigsten Streit hätte sie » miteinander pennen « gesagt, vielleicht auch » poppen « , das er nicht mochte. Aber in ihrem Satz lag ein Hass, der weit über das Gewohnte hinausging.
    » Entschuldige, ich wollte dich nicht anschreien. Ich dachte, du bist sauer wegen ihr, weil ich nichts erzählt habe … Was meinst du mit ›Familie Sternenberg‹? «
    » Bist du immer noch in der Kirche? « Es war eine Inquisition.
    » Ja. «
    » Zahlst du noch Kirchensteuer? «
    » Klar. «
    » Und gehst du in die Gottesdienste? «
    » Nein. Weißt du doch. «
    » Ich habe dich gefragt, warum du noch in der Kirche bist. «
    Das hatte sie nicht gefragt, aber er beschloss abzuwarten.
    » Du hast uns taufen lassen, nicht? Tatjana und mich? «
    » Ja. « Er schluckte die Frage hinunter, was sie damit bezweckte. Sie war entschlossen, es ihm nicht gleich zu sagen, also wollte er sie nicht provozieren. Stattdessen ergänzte er: » Ihr seid getauft. Bei der Konfirmation habt ihr dann entschieden, es nicht zu machen. Das war eure Entscheidung. «
    » Wie nett! Unsere Entscheidung! Ihr habt uns zum Kindergottesdienst geschickt, oder? Jugendclub in der Gemeinde. Christliche Pfadfinder. Und Weihnachten ein riesiger Baum, schön bunt, wir haben Weihnachtslieder gespielt. Wunderbare Welt, oder nicht, Dad? «
    » Worauf willst du hinaus? «
    Sie ging auf ihn zu und baute sich regelrecht vor ihm auf. » Was hat die Familie Ster – nen – berg gemacht, als ihre Nachbarn auf einen Lastwagen geladen wurden, mit dem sie zum Güterbahnhof Grunewald gebracht wurden? Was hat die Familie Ster – nen – berg gemacht, als die Nachbarwohnungen leer waren, weil die Nachbarskinder vergast wurden? «
    Kai Sternenberg stöhnte. » Okay, es geht um die Nazizeit … Was genau willst du wissen? Warum bist du auf mich sauer? «
    Sie stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
    Sternenberg setzte sich aufs Bett.
    Die Tür wurde wieder aufgerissen.
    Anja stellte sich vor ihren Vater. Sie zeigte auf ihre Brust. » Kannst du das sehen, Dad? «
    » Was meinst du? «
    » Ob du das siehst? Es ist ein gelber Stern! «
    » Anja … «
    » Es ist ein gelber Stern! Ich bin die Jüdin Anja Sternberg! «
    Ihm stockte alles.
    Sie war in der Geste eingefroren. Mit dem Finger auf der Brust. Ihr Blick war triumphierend, stolz. Und wieder kamen Tränen.
    » Anja … Was soll das denn? «
    » Das frage ich dich, Dad! « Sie taute wieder auf, setzte sich neben ihn.
    Für einige lange Sekunden sprachen sie nicht.
    » Du hättest es uns sagen müssen, Dad « , flüsterte sie.
    Jetzt sprang er auf. » Was denn? «
    Sie schrie ihn an: » Dass wir eine jüdische Familie sind! Dass ich eine Jüdin bin! Dass Tatjana eine Jüdin

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