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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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unendlichen Briefschlitz-Paneel, einen Zugabfertiger mit roter Mütze und einen Verkehrspolizisten auf der Kreuzung. Eine Umfrage unter Bürgern schloss sich an, aber noch immer war der Ton nicht aufgeschaltet. Die Regie sagte, dass der Ton nicht aufgeschaltet war … Man sah Warteschlangen im Arbeitsamt und vor einer Sozialbehörde, dann einen Aktenwagen im Gericht. Der Einspieler endete mit dem Standbild eines stempelnden Menschen.
    Bevor die Moderatorin etwas sagen konnte, schaltete sich der Innenminister ein. Er wolle nun auch einmal etwas dazu sagen. Mit Beton in der Stimme wies er darauf hin, dass die gezeigten Zugabfertiger und Postboten längst keine Beamten mehr seien. Da habe die Reform längst gegriffen. Die Moderatorin kam nicht zum Zuge. Der Innenminister ergänzte, dass auch das Arbeitsamt längst privatisiert sei und einen ganz anderen Namen mit einer ganz neuen Aufgabe habe. Und die Gerichte seien etwas ganz anderes als eine Verwaltungsbehörde. Schließlich handle es sich um zwei unterschiedliche Staatsgewalten.
    Die Moderatorin war überglücklich, zu Wort zu kommen, und erklärte, im Prinzip sei der Film richtig gewesen, denn es ginge ja um das Prinzip. Man sei sich einig, es gäbe zu viele Beamte, davon könne man ausgehen.
    Sternenberg dachte an die Personaldiskussion in seinem Dezernat. Dann dachte er wieder an Anja, ihre Wut, ihre Vorwürfe. Was wäre eigentlich, wenn sie recht hat? Wenn mir niemand gesagt hat, dass ich einer jüdischen Familie entstamme? Ich habe immer gedacht, ich wäre bei der evangelischen Kirche … Er sah eine Synagoge vor sich und schwarz gekleidete Männer mit Bärten und Leichen vor den Zäunen der Konzentrationslager.
    » Wie bekommen wir die Zahl der Beamten denn nun reduziert? « , fragte die Moderatorin den Gewerkschaftsmann.
    » Ja, das ist die gute Frage. Ich denke, es ist ganz klar, dass da reduziert werden muss. Beamte kosten bekanntlich erheblich mehr als Angestellte … «
    Der Mann vom Beamtenbund fiel ihm ins Wort. » Ein Angestellter im höheren Dienst kostet im Jahr 15 000 Euro mehr als ein Beamter in vergleichbarer Position. «
    » Aber « , fuhr der Gewerkschafter fort, » da müssen Sie ja wohl noch an die Pensionen denken! «
    » Und was ist mit den Angestellten? Die erhalten keine Rente? «
    Die Moderatorin ging dazwischen, ohne zu schlichten. Stattdessen stellte sie fest: » Beamte haben Privilegien, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ist das angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen noch hinzunehmen? « Sie grinste den Parteienforscher an.
    Der grinste zurück: » Ich weiß nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Wollen Sie die Beamten kündigen, damit wir sieben Millionen Arbeitslose haben? Außerdem … Welche Privilegien meinen Sie denn? «
    » Na, da ist die Unkündbarkeit « , sagte die Moderatorin.
    » Und weiter? «
    » Na, ich will das nicht alles aufzählen … «
    » Doch, doch, Unkündbarkeit – und was noch? «
    » Ja, ein sicherer Arbeitsplatz ist was wert. Relativ hohes Gehalt, Privatversicherung … «
    Der Parteienforscher, offenbar ein Experte, sagte: » Über die Höhe des Gehalts haben wir eben schon gesprochen. Die Privatversicherung wird genauso bezahlt wie eine gesetzliche Versicherung. Und warum sind die Beamten unkündbar? «
    Die Moderatorin sagte: » Gut, lassen Sie uns mal einen anderen Punkt beleuchten … «
    » Nein « , hakte er nach. » Warum sind sie unkündbar? Herr Innenminister, wissen Sie das? Die Beamten sollen parteiunabhängig arbeiten. «
    Im Publikum lachte jemand höhnisch.
    Der Parteienforscher fuhr fort: » Natürlich führt ein Parteiminister das Ministerium und gibt Weisungen. Aber wenn die Weisung rechtswidrig ist, dann muss der Beamte ›nein‹ sagen. Und nun sagen Sie mir mal, was in einer normalen Firma ein Chef mit einem Mitarbeiter macht, der sich hartnäckig weigert, eine Weisung umzusetzen? Er entlässt ihn. Und genau das haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes verhindern wollen. Sie wollten unabhängige Beamte, die nicht einem Minister, sondern nur dem Gesetz und der Verfassung verpflichtet sind. Und das würde niemals funktionieren, wenn man einen Beamten entlassen könnte. Über diesen Grund der Unkündbarkeit sollten wir auch mal diskutieren. «
    Jetzt erhob sich ein allgemeines Gesprächschaos.
    Sternenberg kam sich vollends überflüssig vor.
    Bis ihn die Moderatorin kalt erwischte, indem sie eine allgemeine Frage in den Raum formulierte und dann ihn angrinste. » Aber

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