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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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die Polizei macht doch wichtige Aufgaben und soll nicht abgebaut werden? «
    Sternenberg räusperte sich. » Vielleicht sollten wir einen Moment bei dem Argument des Herrn von eben bleiben. Bevor man Beamte abbauen will, muss man sich über das Ziel klar werden, weshalb es diesen Sonderstatus überhaupt gibt. «
    Sie grinste ihn an, als sei er zu dumm, die Frage zu verstehen. » Aber was sagen Sie als Polizist? Ist es unbedingt erforderlich, dass Sie Beamter sind? «
    Ihm fiel nur das Klischee vom » hoheitlichen Beamten « ein, und er war fast froh, dass der Innenminister ihm die Antwort abschöpfte.
    » Neeiiiin « , sagte er langgezogen, als habe er es ebenfalls ausschließlich mit Lernbehinderten zu tun. » Die Polizei ist ein Hoheitsorgan, und darum kann sie auch nur mit hoheitlichen Beamten betrieben werden. Darüber diskutieren wir heute Abend gar nicht. «
    Die Moderatorin wagte einen Einwurf zum Thema » Privatpolizei und Schwarze Sheriffs « , aber der Innenminister ignorierte sie und erläuterte die Grundzüge seiner Verwaltungsreform.
    Im Laufe der Sendung bekam Sternenberg noch einmal das Wort. Er wies darauf hin, dass sein eigenes Team um die Hälfte reduziert worden sei – bei gleichbleibenden bis zunehmenden Aufgaben. Der Vertreter des Steuerzahlervereins griff ihn darauf persönlich an und forderte ihn auf, die Gewalt auf der Straße zu bekämpfen, anstatt in Fernsehshows herumzusitzen.
    Die Moderatorin bedankte sich für die konstruktive Debatte, die » selbstverständlich « nicht zu konkreten Ergebnissen habe führen können. Dazu sei die Beamtenlobby eben zu stark. Schönen Abend noch!
    Sternenberg hatte an einem Nachgespräch kein Interesse. Alle schwänzelten um den Innenminister herum. Einige wollten ein Autogramm.
    Sternenberg stieg in den Wagen und fuhr nach Hause. Eine Stunde hatte er, bevor der Dienst bei der Telefonseelsorge begann.
    Die Wohnung war dunkel, aber nicht abgeschlossen. Leise klopfte er gegen die Schlafzimmertür und öffnete sie. Im Lichtschein des Flurs sah er Anja in seinem Bett liegen, zusammengerollt auf einer Seite, schlafend, aber noch angezogen.
    Er setzte sich auf die Bettkante und sah sie an. Sie hatte die Bettdecke fest im Griff. Wie sie so dalag, das kannte er gut. Ihr Gesicht, ihre Haltung. Aber da war sie Kind gewesen. Jetzt war sie eine erwachsene Frau, eine tief verletzte erwachsene Frau.
    Er legte ihr die Hand auf die Schulter und weckte sie. Sie blinzelte.
    » Was ist? Dad? «
    » Ja, Töchterchen. «
    » Was ist? Ich hab’ geschlafen. «
    Er hatte sie nie nachts geweckt, um ihr etwas zu sagen.
    » Ich weiß, ich weiß. «
    Sie richtete sich mühselig ein Stück auf.
    » Du hast deine Sachen noch an. «
    » Na und? Lass mich schlafen. «
    » Gleich. Anja … Ich habe nie davon gehört, dass die Sternenbergs jüdisch sind. Wir unterhalten uns morgen, okay? Du erzählst mir, wie du darauf gekommen bist. Ich weiß absolut nichts davon. Wenn es stimmen würde, wäre ich genauso überrascht wie du. Ich habe dich nicht belogen. Hätte ich nie. Ich möchte nicht, dass das zwischen uns steht. Es stimmt einfach nicht. Glaubst du mir? «
    Sie blinzelte ihn an. Ob ihre halb geschlossenen Lider Enttäuschung andeuteten oder nur echte Müdigkeit, wusste er nicht. Langsam drehte sie sich zur anderen Seite.
    » Hey « , sagte er sanft. » Töchterchen … Glaubst du mir? «
    » Lass mich bitte schlafen, Dad. «
    Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss. » Gute Nacht. «
    » Gut’ Nacht. «
    Er ging und sagte noch: » Ich bin in der Telefonseelsorge « , bevor er die Tür in dem Bewusstsein hinter sich schloss, wie bizarr diese Aussage in diesem Moment wirkte.

18
    Die beiden ersten Anrufe waren Aufleger.
    Dann war eine Frau in der Leitung, die unaufgefordert sagte, sie sei vierundvierzig, verheiratet, habe zwei Kinder – als müsste man bei der Telefonseelsorge ein Formular ausfüllen, bevor man spricht. Nach nicht einmal einer Minute wusste Sternenberg, wie das Gespräch verlaufen würde. Am liebsten hätte er ihr das auch gleich schriftlich gegeben, anstatt sich mit ihr durch die übliche Gesprächsprozedur zu quälen.
    Er hätte gesagt, dass sie wahrscheinlich eine von zwanzig Millionen Frauen mit dem gleichen Problem ist. Sie glaubt, nicht mehr attraktiv zu sein, und steigt regelmäßig auf das Spinningrad, um wieder begehrenswert zu werden. Um die Beziehung zu ihrem Mann wieder in die Gänge zu bringen. Aber ihr Mann würde wegen 500 Gramm weniger Gewicht

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