Blutige Spuren
ihm fiel rechtzeitig genug auf, dass solches Kästchendenken bürokratisch war und die beiden Frauen in ihrer Motivation beschränken könnte. Außerdem fand er die Idee nicht schlecht, dass beide sich abstimmten: Synergie und doch auch eine gewisse Kontrolle Saskias. Sobald möglich, sollten sie Barbara in die Recherche einbeziehen.
Jano Dodorovic hatte die Posteingänge im Büro bereits gesichtet. Er sprach noch immer durch die Nase und verkündete nicht ohne Theatralik, dass er durchaus noch lebe. Sternenberg war sich nicht sicher, ob sich das auf seine Genesungswünsche bezog oder ob ihn noch die Sorge der Kollegen beschäftigte, die Eintragung H+ in seinem Kalender hätte HIV positiv bedeuten können.
Dodorovic vergaß auch nicht, die Stapel von Fachzeitschriften und Umläufen zu erwähnen, die Sternenberg generell nicht las. Alles Wichtige erreiche ihn via Internet, meinte er. Dann wies Dodorovic auf eine versiegelte Mappe von der Personalstelle hin. Außerdem gäbe es zwei kleine Anfragen des Abgeordnetenhauses. Ohne zu fragen, worum es dabei ginge, nannte Sternenberg ihm den Namen einer Sachbearbeiterin bei der Innenverwaltung. An die solle er die Anfragen des Parlaments schicken. Der Rest schien selbst Dodorovic nicht so wichtig zu sein, als dass er nicht noch einen Tag im Eingangskorb liegen bleiben könnte.
Sternenberg bat ihn, seine E-Mails abzurufen. Er gab seinem Kollegen sein Passwort und löste so ein schweres moralisches Dilemma bei dem Mann aus. Es brauchte fünf Minuten Überzeugungsarbeit, bis Dodorovic an Sternenbergs PC das Kennwort eingab, das er nicht kennen durfte. Achtundachtzig Nachrichten waren eingegangen. Von Beatrix oder seinen Töchtern war keine dabei.
Er bat Dodorovic, sich jederzeit zur Verfügung zu halten, falls Isabel, Tarek oder Saskia seine Unterstützung brauchten. Diese Bitte war jedoch, wie er sich etwas zu spät entsann, bei Dodorovic an und für sich überflüssig – der Mann war ohnehin die Zurverfügungshaltung in Person.
Nach dem Telefonat schüttelte Sternenberg den Kopf. Warum hatten sie eigentlich so früh aufgegeben, Angehörige aufzutreiben? Selbst wenn die drei Männer Einzelgänger waren, musste es Menschen geben, die sie kannten und die einschätzen konnten, warum sie jemandem unbequem geworden waren. Ob es ihnen gelingen würde, Kunden zum Sprechen zu bringen, wusste er nicht. Sind die genauso zugeknöpft gegenüber der Polizei wie Freier? Empfindet man es als ehrenrührig, nach der Teilnahme an bestimmten Rollenspielen befragt zu werden?
Er bat Wolfgang Lichtenberg, die Bahn für groß angelegte Fingerabdruck- und DNA -Vergleiche freizumachen. Anja hatte ihren Finger ja genau in die Wunde gelegt: Die Berliner Kripo hatte zwar festgestellt, dass Gusewski, Seesand und Huth Blut des jeweils anderen an der Kleidung und am Körper hatten. Aber hatte sie auch sorgfältig genug nach dem Blut einer vierten Person gesucht? Nicht nur an der Kleidung der Toten, sondern auch an Ästen und auf Laub im Wald? Um solch diffizile Fragen an die Rechtsmediziner zu stellen, war Lichtenberg der geeignete Mann, gerade, weil er nicht diplomatisch war.
Es ließ sich wie erwartet nicht vermeiden, dass Sternenberg daraufhin einen Vortrag über die Vorzüge einer bundes- und europaweiten DNA -Datenbank erhielt. Und darüber, dass ohne eine solche tausende Verbrechen unaufgeklärt blieben, womöglich auch dieses.
Sie einigten sich darauf, die Telefonseelsorge nicht abzuhören. Die Kehrseite des Kompromisses war, dass Sternenberg zur Seelsorge fahren musste. Er bat Jochen, den Geschäftsführer, allen Mitarbeitern eine Notiz neben das Telefon zu legen. Im Fall einer Erwähnung krimineller Taten sollten sie umgehend Jochen informieren und anschließend die benutzte Leitung meiden.
Jochen sagte rundheraus, dass es ihm nicht passe, wenn die Polizei Anrufer zurückverfolge. Sternenberg knüpfte ohnehin wenig Hoffnung an so ein Meldeverfahren, denn sein Anrufer von Sonntagnacht würde mit einer Aufschaltung und Rückverfolgung rechnen und bestimmt nicht wieder anrufen. Aber nun ging es um jeden Eventualfall.
Dass er seine ehrenamtliche Tätigkeit auf Weisung seiner Vorgesetzten auf unbestimmte Zeit einzustellen hatte, nahm Jochen für Sternenbergs Geschmack etwas zu verständnisvoll auf. Ein kleiner Protest hätte ihm geschmeichelt.
Isabel ließ Saskia den Vortritt. Der Laden gehörte nicht zu einer der bekannten Ketten, und der Versuch, es den Konzernen an Plakaten und
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