Blutige Tränen (German Edition)
erst sah ich ihn richtig an.
»Haben sie dir irgendwas getan?«
»Ja ... nein. Sie haben mir unmissverständlich klargemacht, was es heißt, zu dienen, Sir.«
»Nenn’ mich nicht so«, fuhr ich ihn an. »Du weißt verdammt gut, wie ich heiße!«
Raphael zuckte zusammen, seine Augen weiteten sich vor Schreck. Es tat mir sofort leid, dass ich ihn so angefahren hatte. Doch in meinen Adern pulsierte noch immer der rote Fluch des Zorns. Ich rieb mir mit beiden Händen durchs Gesicht, versuchte, wieder ruhiger zu werden.
»Tut mir leid, tut mir leid ...«
Ich wollte mich setzen, doch in mir rumorte es. Ein ganzes Heer von Stimmen schien auf mich einzureden, ich tigerte im Zimmer auf und ab. Raphael starrte mich verängstigt an. Er zitterte unübersehbar. Um ein Haar hätte ich meine Wut an ihm ausgelassen – es kostete mich alle Beherrschung, es nicht zu tun.
Mir fiel ein, dass Raphael ein Mensch war; dass er, wenn sie ihm wehgetan hatten, Schmerzen hatte, Verletzungen, die er nicht heilen lassen konnte. Und plötzlich roch ich das Blut! Frisches Blut oder ... – der Geruch brachte mich fast um den Verstand.
»Schließ die Tür und zieh dich aus.«
Raphael schluckte, aber er zog gehorsam sein Obergewand über den Kopf, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.
Auf seinem Rücken und auf seiner schmalen Brust waren dicke, dunkelrote Striemen zu sehen – sie mochten recht schmerzhaft sein, doch sie bluteten nicht. Er musste noch an einer anderen Stelle verletzt sein ... Dieser eigenartige Geruch ...
Raphael schien meine Gedanken erraten zu haben. Vorsichtig entblößte er auch sein Bein. Seitlich auf seinem Oberschenkel prangte ein kreisrundes frisches Brandzeichen mit einem verschnörkelten »L« in der Mitte. Das Fleisch war schwarz verkohlt. Das war der Grund des intensiven Geruchs! Es roch süß nach versengtem Fleisch – nicht nach frischem Blut.
Erschrocken sah ich ihn an.
»Ich bin jetzt unfrei«, sagte er leise. Dann rang er sich ein Lächeln ab, das bar jeglichen Humors war. »Aber das war ich ja vorher auch schon. Und ich habe noch Glück gehabt – sie wollten mich ursprünglich ...«, er stockte, »sie wollten mich kastrieren, wie sie das bei den meisten der anderen Diener auch getan haben. Sie haben schon so viele auf diese Art umgebracht ... Ich habe Glück gehabt.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, welche Angst er ausgestanden hatte. Langsam setzte ich mich auf das Bett. Ich fühlte mich schrecklich. »Setz’ dich her, Raphael«, sagte ich leise.
Er gehorchte. Ich sah die Tränen in seinen Augenwinkeln schimmern. Er hatte so schöne unschuldige Augen; selbst im Schmerz waren sie wundervoll rein.
Vorsichtig biss ich mir eine winzige Wunde am Handgelenk und wartete, bis einige der dunklen Tropfen aus der Wunde hervorquollen. »Trink’ das und schlaf ein bisschen. Danach wird es dir wieder besser gehen.«
Ich sah seinen Widerwillen, doch er öffnete gehorsam den Mund und leckte die Tropfen von meiner Haut. Das Gefühl erinnerte mich an Brian – eisiger Schmerz zuckte durch meinen Körper. Und ich schloss für einen Moment betäubt die Augen.
Raphael schlief nur wenige Augenblicke später ein. Seine Augen zuckten unter seinen dünnen Lidern, doch er atmete ruhig und gleichmäßig.
Jessica hatte alles vorbereitet – sie wollte Julian wirklich entschädigen. Und sie wusste auch schon sehr genau, wie sie das machen wollte. Einer ihrer nächtlichen, dämonischen Freunde – Hagith – würde ihr mit Freude behilflich sein und Julian ein Erlebnis bescheren, das er so schnell nicht vergessen würde. Und sie konnte das ebenfalls genießen!
Doch schließlich kam es anders, als sie erwartet hatte.
»Ich werde mit Gabriel nach Schottland reisen«, sagte Julian. Er hatte darüber nachgedacht und es schien ihm der sinnvollste Plan zu sein. Sie saßen zusammen in einem der kleineren Salons von Alex’ Anwesen.
Jessica sah erst ihn, dann Gabriel an. In ihr kroch Ärger herauf. »Wann wollt ihr los?« fragte sie schließlich knapp.
»Jetzt sofort. Julian hat seine Sachen schon gepackt.«
»Das hast du ja wieder super eingefädelt«, giftete Jessica. »Immer durchkreuzt du meine Pläne!«
Gabriel sah sie verständnislos an. »Wenn du wieder klarer bist, können wir uns gern unterhalten. Aber im Moment verstehe ich echt nicht, was du willst.«
Jessica funkelte ihn an. Ihre dunkelblauen Augen waren plötzlich schwarzrot wie zwei glühende Kohlen.
»Immer geht es nur nach deinem
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