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Blutige Tränen (German Edition)

Blutige Tränen (German Edition)

Titel: Blutige Tränen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Rhys Beck
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anderer Gedanken zu lesen. Wer seine wahre, uneingeschränkte Liebe besitzt, ist Herrscher über Limara ...«
    Ich erstarrte. Verdammt, ging es nur darum? Nur um die Macht, die ungeteilte Herrschaft über das Reich? Ich schloss die Augen und bemühte mich, ruhig zu bleiben. Alles in dieser Welt erschien mir so fremd, und doch wusste ich, dass es in meiner Welt nicht wirklich anders lief. Ich wusste es, doch ich wollte es im Moment nicht wahrhaben. Hatte Lance den Jungen nur zu sich geholt, weil er die ungeteilte Herrschaft wollte? Was war mit seiner vorgeblichen »Liebe«?
    Mich reizte es, weiter in dem Buch zu blättern, noch mehr herauszufinden. Doch ich klappte es zu. Ich hatte genug erfahren. Silk war der Auserwählte. Seine Augen hatten zwei verschiedene Farben, seine Stimme war engelsgleich. Er war von unschätzbarem Wert für Lance und Isgira. Sie würden um ihn kämpfen, und doch lag es ganz allein an Silk, wem er seine Liebe schenkte. Wusste er von seiner Bestimmung?
    Während ich so stand und nachdachte, tasteten meine empfindlichen Sinne unaufhörlich die Umgebung ab. Bald spürte ich eine Veränderung auf dem Gang – ich musste hier verschwinden!
    Gerade als ich mich umdrehte um den Raum zu verlassen, sah ich sie. Sie stand in der Tür: eine ältere, fast unscheinbare Frau mit langem, weißen Haar. Spöttisch lächelte sie mich an.
    Ich war erschrocken darüber, dass sie mich überrascht hatte. Ich hatte sie gerade erst gefühlt – und schon war sie da. Das konnte doch nicht sein! Langsam kam sie auf mich zu. Schlendernd. Ihr langes, dunkelrotes Samtkleid schlug sanft um ihre schlanken, nackten Fußknöchel. Sie war barfuß.
    »Mein schöner Fremder ...« Ihre Stimme war dunkel und rau wie ein Reibeisen, doch keinesfalls unangenehm.
    Ich schluckte. Sie verunsicherte mich zutiefst.
    »Hast du dich nun informiert? Weißt du jetzt alles?«
    Ich schüttelte den Kopf. Wenn sie mich an Lance verriet ... Es war, als hielte sie mit eisiger Hand mein Herz umklammert. »Ich weiß nichts.«
    Sie nickte. In Zeitlupentempo hob sie ihre Hand und winkte mich zu sich heran.
    Meine Füße schienen mit dem Boden verwachsen, doch ich trat auf sie zu. Für den Augenblick fühlte ich mich, als hätte sie mich hypnotisiert.
    »Komm’ zu mir, mein Schöner – ich werde dir etwas erzählen über Lance und über den Jungen ...«
    Sie seufzte es fast. »Es war nicht recht. Er hätte dich nicht dafür benutzen dürfen. Das war nicht die Vorhersehung.« Jetzt sprach sie fast zu sich selbst. »Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Du wirst es nicht verhindern können.«
    Ich räusperte mich. »Wer seid Ihr? Eine Seherin?«
    Sie lächelte mich an. »Ja, Vampir. Ich bin eine Seherin.« Sie fasste mich am Arm und zog mich hinter sich her. »Komm’ mit mir! Du musst wissen, was passieren wird. Du bist kein Teil von dieser Welt; du musst alles wissen.«
    »Ich ...«
    Doch sie duldete keinen Widerspruch. »Hier ist es zu gefährlich.«
    Sie wandte sich auf dem Gang nach rechts, und ich folgte ihr – noch immer wie in Trance. Und als ich so hinter ihr herging, fielen mir die seidigen roten Strähnen in ihrem weißen langen Haar auf.
    »Sagt mir, wie Ihr heißt.«
    Sie drehte sich zu mir um. »Lucía – und nun komm’! Ich möchte nicht, dass wir hier zusammen gesehen werden.«
    Ich versuchte, ihr zu vertrauen; doch es gelang mir nicht. Trotzdem folgte ich ihr.
    Zunächst hielten wir uns links, nach einigen Abzweigungen bemerkte ich, dass wir nun wieder nach rechts schwenkten. Wollte sie etwa, dass ich die Orientierung verlor? Das sollte ihr wohl schwerlich gelingen.
    Vor einer ungewöhnlich schmalen, hohen Holztür blieb sie schließlich stehen. Ihre schlanke Hand umfasste den goldenen Türknauf, und die Tür öffnete sich geräuschlos. Ich konnte die Adern unter ihrer feinen, dünnen Haut sehen, die kleinen, hellbraunen Flecke des Alterns.
    Sie drehte sich zu mir um. »Du musstest schon soviel ertragen«, sagte sie sanft.
    Ich starrte sie an. Mitleid hatte ich nun nicht erwartet. »Sagt Ihr mir, warum?«
    »Ja. – Aber setz’ dich erst einmal. Alexander ist dein Name, nicht wahr?«
    Ich nickte und setzte mich in einen der kleinen, halbhohen Sesselchen. Das Zimmer war schlicht eingerichtet, doch ich sah sofort, dass diese Frau keine einfache Seherin war. Sie musste einen ganz anderen Status haben hier am Hof. Und ich ahnte bereits, welchen.
    »Er versucht, dich zu beherrschen. Du sollst ihm gehorchen; so wie jeder ihm hier gehorcht.«

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