Blutige Tränen (German Edition)
den jungen Mann, der noch immer aus der Nase blutete, achtlos am Boden liegen und trat wieder dicht an Julian heran.
»Wir haben noch ganz andere Strafen für Männer, die ihre Nase allzu hoch tragen. Und genau das tust du, mein Lieber. Du meinst, weil du Brians und Gabriels und vermutlich auch Daniels Schutz genießt, kannst du dir erlauben, dich hier einzumischen. Doch du vergisst eines: Die Herren schlafen bei Tag.« Jerome machte eine bedeutungsvolle Pause. »Halt dich also aus Dingen heraus, die dich nichts angehen – wenn dir dein Arsch lieb ist ...«
Julian spürte, wie ihn ein heißer Schauer durchlief angesichts dieser unverhohlenen Drohung. Er biss die Zähne aufeinander und nickte.
Jerome hatte recht, und er saß am längeren Hebel. Wer hätte ihn hier – am Tag – unterstützen sollen? Zähneknirschend zog er sich aus dem Saal zurück. Er hasste sich selbst für seine Feigheit; er überließ den jungen Mann – er war sicher kaum älter als er selbst – seinem Schicksal, um wortwörtlich seinen eigenen Arsch zu retten. Er wünschte sich, Brian wäre jetzt an seiner Seite – oder Alex. Ein Blick des Vampirs hätte ausgereicht, um die drei förmlich einzuschmelzen, um sie dem Erdboden gleichzumachen.
Und, verdammt, wer garantierte ihm, dass Jerome ihm nicht doch noch im Laufe des Tages nachstieg? Wer würde ihm helfen, wenn Stan und der andere Kerl ihn festhielten, während Jerome ... Julian erschauderte. Seine Impulsivität hätte ihn beinahe eben schon in diese Situation gebracht.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte er die Treppe hinauf. Er musste erstmal wieder einen klaren Kopf bekommen.
Ziellos irrte er durch die langen Gänge und dachte nach. Über Brian, über dieses merkwürdige Schloss, über Dygwion, über Alex’ Verschwinden ...
Er hatte sich total verirrt, als sich ihm plötzlich ein Mann in den Weg stellte. Julian sah ihn überrascht an. Er hatte ihn vorher gar nicht bemerkt, so in Gedanken war er gewesen. Und das war in seiner Situation verdammt gefährlich.
Der junge Mann war unzweifelhaft ein Inder, mit der für viele jungen Inder typischen geheimnisvollen Ausstrahlung. Seine Haut war samtig, vielleicht ein wenig blass. An seinem schlanken Hals waren dunkelrote Einstiche, die mit einer frischen Kruste bedeckt waren. Er trug sie mit Stolz wie ein Abzeichen.
»Julian?« Er packte Julian am Arm. »Du bist doch Julian, nicht wahr? Komm’, ich wollte mich schon die ganze Zeit mit dir unterhalten.«
»Was?« Julian war völlig überrumpelt. Doch er ließ sich widerwillig mitziehen.
»Was soll das? Wer bist du?« Doch er bekam vorerst keine Antwort.
Der Griff um seinen Arm lockerte sich ein wenig, als der junge Inder bemerkte, dass Julian ihm freiwillig folgte.
Durch eine große, gläserne Tür traten sie hinaus auf die steinerne Plattform. Julian sog die frische kühle Meeresluft tief in die Lungen.
»Wer bist du und was soll das Ganze?« fragte er nun noch einmal. Ein Hauch von Ärger schwang in seiner Stimme mit. Er mochte es nicht, wenn über ihn bestimmt wurde.
»Ich bin Taron«, stellte der Mann sich nun vor. Er hatte eine angenehme, ein wenig rauchige Stimme. Er sah Julian direkt ins Gesicht. »Es war höchste Zeit für mich, einzugreifen. Stan und Anthony waren gerade auf dem Weg zu dir, Mann. Und weißt du, was das bedeutet? – Sie sollten dich zu Jerome bringen. Der ist schon die ganze Zeit scharf auf dich.«
»Woher weißt du das?«
Taron zuckte mit den Schultern. »Ich habe es zufällig gehört.«
Julian schluckte. Konnte er Taron trauen?
»Du solltest heute über Tag nicht allein bleiben«, riet Taron. »Ich werde bei dir bleiben – es sei denn, du legst Wert auf eine intime Begegnung mit Jerome.«
Julian erschauderte ein wenig und schüttelte den Kopf. »Und deine Begleitung ist Schutz genug?«
Taron nickte lächelnd.
»Du bist keiner von ihnen?«
Taron schüttelte den Kopf. »Siehst du irgendwelche Narben in meinem Gesicht?«
Julian starrte ihn an, erwiderte aber nichts. Was hieß das schon, dass er keine Narben sehen konnte?
»Was sind das für Typen?« wollte er wissen.
Taron lächelte vielsagend. »Die meisten jungen Männer kommen her, um der elenden Langeweile ihrer gut situierten Familien zu entkommen. Sie ersticken in ihrem Reichtum, an ihrer Etikette . Hier bekommen sie Abenteuer, Orgien, Drogen und die Illusion, unsterblich zu werden. Aber die wenigsten bekommen den dunklen Kuss. Du brauchst einen vampirischen Gönner, sonst sieht
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