Blutige Tränen (German Edition)
fassen. »Mein Vater ist tot«, sagte er schließlich rau. Er lallte ein wenig.
Julian starrte ihn an. »Soll ich dich jetzt beglückwünschen oder dir mein Beileid aussprechen?« fragte er schließlich vorsichtig.
Will zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er ... hatte einen Herzinfarkt beim ... Tennisspielen. Ist umgekippt und war sofort tot. Meine Mum ist total am Ende ...«
»Du auch, wie’s scheint«, bemerkte Julian.
»Ich ... ich weiß nicht. Um ihn tut’s mir nicht leid, das weißt du doch. Er war ein echtes Arschloch. Aber meine Mum, mein Gott, sie steht unter Schock ... Und Julian – die Firma, der Verlag ... das ist jetzt meiner. Ich kann das alles noch nicht fassen!«
Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich durch die roten, strubbeligen Haare.
»Und als waschechter Ire bist du sofort los und hast dich zugeschüttet?«
Will winkte ab. »Mann, ich bin total fertig. – Komm’, setz’ dich zu mir, Julian. Nimm’ mich in den Arm und tröste mich, wie ich es von dir erwartet habe.«
Julian grinste, obwohl Will ihm schrecklich leidtat. Sie waren sich zwar sehr vertraut, doch in letzter Zeit hatte Will meist Abstand zu ihm gehalten. Und Julian wusste, dass sein Freund, obwohl er sich zu Frauen hingezogen fühlte, kaum die Finger von ihm lassen konnte. Doch außer einem einzigen sexuellen Erlebnis, als sie beide vierzehn Jahre alt waren, hatte sich nichts mehr zwischen ihnen abgespielt – von ein paar flüchtigen Küssen und Umarmungen mal abgesehen. Will hielt sich eisern unter Kontrolle.
»Was für eine Art von Trost hast du dir denn vorgestellt?« Julian setzte sich zu Will auf die Couch und legte den Arm um seine kräftigen Schultern.
Will ließ seinen Kopf an Julians Schulter sinken und lauschte für einen Moment den gleichmäßigen Herzschlägen. »Die Beerdigung ist in drei Tagen.«
»Soll ich dich begleiten?« fragte Julian. Er spürte Wills Nicken.
»Mein Gott, das ist alles so plötzlich.«
»Dein alter Herr hätte das vorher ankündigen sollen, nicht wahr?«
»Ja, verdammt.« Wills Stimme klang vorwurfsvoll. »Obwohl, scheiße ... ich bin froh, dass er tot ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ...« Die letzten Worte gingen in einem Schluchzen unter.
Julian drückte seinen Freund fest an sich. Er wusste, was in ihm vorging. Er fühlte die Schmerzen wie seine eigenen, und er wusste, wie sehr Will darunter litt, dass er sich so über den Tod seines Vaters freute. Wie sehr er litt, dass er keine Trauer empfinden konnte – er hatte seinen Vater gehasst, denn er hatte ihn immer gefürchtet! Zu Recht gefürchtet, denn Malcom Langley war ein brutaler, tyrannischer Despot gewesen. Julian hatte sich mehr als einmal gefragt, wie Wills Mutter es mit diesem grässlichen Menschen zusammen aushalten konnte.
»Julian? Kann ich bei dir bleiben? Ich ... ich kann heute nicht nach Hause zurück ... meine Mutter wird gut versorgt, ihre beiden Schwestern – meine Tanten – sind bei ihr. Bitte, Julian ...«
»Natürlich kannst du hier bleiben.«
Er stand auf und holte eine Flasche Whiskey aus dem Schrank. »Ich glaube zwar, du hast schon ganz gut getankt – aber es scheint noch was reinzupassen.«
Will brachte ein schiefes Grinsen zustande; er putzte sich umständlich die Nase. »Mann, du musst mich ja für eine absolute Heulsuse halten ...«
»Will – red’ nicht soviel , trink!«
Er gab Will ein Glas, und sie stießen an. »Cheers.«
»Möge er in der Hölle schmoren«, murmelte Will.
Nach einer Stunde und vier weiteren Gläsern ging bei Will dann wirklich nichts mehr. Julian schleppte ihn erst ins Bad und dann ins Schlafzimmer. Erstaunlicherweise konnte er noch immer sprechen – wenn es ihm auch sichtlich schwerfiel. Er verfiel in einen breiten irischen Dialekt, der sich sehr angenehm anhörte, doch Julian hatte Mühe, ihn zu verstehen. Er knöpfte ihm das Hemd auf. »Will, vergiss nicht, dass ich gebürtiger Amerikaner bin ...«
»Entschuldige, Julian«, sagte Will schleppend. »Das liegt mir im Blut; meine Herkunft konnten nicht einmal die Lehrer an unserem Internat aus mir rausprügeln.«
Julians Bett war ziemlich groß, und Will sank erschöpft in die weichen Kissen. Er hätte den Weg nach Hause nicht mehr geschafft, und die Vorstellung, auf seine weinende – trauernde – Mutter zu treffen, erschien ihm zu schrecklich. Er hätte das nicht ausgehalten, trotz seines beträchtlichen Alkoholpegels.
Julian kroch neben ihm ins Bett und löschte das Licht. »Tut mir
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