Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
Quentin?«
Ich blickte von meinen Notizen auf. »Ich bin immer noch sicher, dass der Angriff diesem Mann persönlich galt. Aber wenn es so gewesen ist, brauche ich mehr Informationen über Greshams Welt, um zu verstehen, weshalb er ins Visier genommen worden ist.« Ich geriet ins Stottern, als ich all die ausdruckslosen Mienen sah. »In Fällen wie diesem stellt der Täter sich oft vor, sich selbst vor einen Zug zu werfen, bevor er sein Opfer stößt. Es könnte durchaus sein, dass er schon mal wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung war, deshalb wäre es gut, die Akten der Krankenhäuser einzusehen. Die sorgfältige Planung dieser Tat macht es durchaus wahrscheinlich, dass er es noch mal versuchen wird. Außerdem hat er aus einem ganz bestimmten Grund einen gutgekleideten Mann mittleren Alters als erstes Opfer ausgesucht. Vielleicht weil er ein Problem mit seinem Vater oder generell mit Autoritätspersonen hat.«
Als hätte ich einen besonders lahmen Witz gemacht, fing Taylor hämisch an zu grinsen, und die anderen sahen mich ohne eine Miene zu verziehen an. Die aggressive Atmosphäre überraschte mich. Normalerweise wurde ich bei meiner Arbeit für die Polizei immer freundlich und zuvorkommend behandelt und bekam genügend Zeit, um interne Kürzel oder Witze zu verstehen. Dieses Team jedoch ging völlig anders mit mir um – als läge ihm die Feindschaft gegenüber Außenstehenden im Blut.
Ich atmete erleichtert auf, als das Gespräch vorüber war. Während alle anderen den Raum verließen, blieb Steve Taylor noch kurz stehen und raunte mir mit einem knappen Kopfnicken in Richtung seiner Chefin zu: »Jetzt ist Ihnen sicher klar, weshalb sie bei uns die Unsichtbare heißt.«
Damit trat er in den Flur und ließ nur noch den Gestank seines Rasierwassers zurück, doch ich verstand, was er sagen wollte. Die Aufmachung der DSI war so dezent, dass sie schon beinahe langweilig zu nennen war, und ihr Händedruck war so schwach, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte meine Hand nach einem Nebelschwaden ausgestreckt. Ich fragte mich, wie sie auf der Karriereleiter derart hoch gekommen war. Vielleicht war ihre Unauffälligkeit ja einfach aufgesetzt. Denn Frauen in Führungspositionen bei der Polizei waren entweder brillant oder vollkommen skrupellos.
»Sie hatten mit dem Crossbones-Fall zu tun, nicht wahr?« Sie zog ihre grauen Augenbrauen einen Millimeter hoch.
»Aber ich lebe noch.«
»Dabei war, nach allem, was man mir erzählt hat, jede Menge Glück im Spiel.« Sie schob ihren grauen Pony zur Seite, um mir forschend ins Gesicht zu sehen. »Wie oft haben Sie der Polizei schon bei Ermittlungen geholfen?«
»In drei großen Fällen, und außerdem erstelle ich bereits seit Jahren Gutachten in Gefängnissen.«
»Und wie wird Ihre Arbeit hier bei uns aussehen?«
»Burns hat mich gebeten, mit ihm zusammenzuarbeiten, und erst mal werde ich mit ihm zu Greshams Familie und anderen Kontaktpersonen gehen.«
Brotherton verzog verärgert das Gesicht. Offenbar empfand sie mein Erscheinen als unnötige Ablenkung. »Bitte überlassen Sie mir noch eine Kopie von Ihrer Zulassung, bevor Sie gehen.«
Nachdem sie wieder mit den grauen Flurwänden verschmolzen war, erkannte ich, weshalb die Teambesprechung so angespannt verlaufen war. Brotherton war sicher stolz auf ihre Unergründlichkeit. Niemand ahnte auch nur, was sie dachte, und so wusste keiner ihrer Leute, wer eventuell auf ihrer Abschussliste stand.
Vielleicht war sie der Grund für Burns’ beachtlichen Gewichtsverlust. Als Untergebenem einer derart zugeknöpften Frau verging sicher jedem irgendwann der Appetit.
4
Burns machte ein finsteres Gesicht, als er einen Computerausdruck überflog, das Opfer aber schien entschlossen, die Geschichte positiv zu sehen. Denn von der Wand des Raums grinste mich ein riesengroßes Bild von Leo Gresham an. Kahlköpfig und onkelhaft mit Augen, die von unzähligen Lachfalten umgeben waren. Jemand hatte eine Kaffeemaschine direkt unter der Aufnahme geparkt, als hätte das Team den Mann als Lieblingsgottheit auserkoren, die sich mit Kaffeeduft milde stimmen ließ.
Burns würde mich zu Greshams Frau mitnehmen. Ich hatte auf ein Treffen bestanden, denn auch wenn er immer noch davon besessen war, dass ein Serienkiller diese Tat begangen hatte, wurden tatsächlich die meisten Menschen von Personen aus dem nahen Umfeld umgebracht. Nach ein paar Minuten warf er den Bericht in einen Korb, schnappte sich seine Autoschlüssel und stand
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