Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
noch ins Bett.
Allerdings begrüßte mich in meinem Flur eine bekannte, laute Stimme, die sich seit der Schulzeit nicht verändert hatte. Immer noch klang sie so aufgeregt und rau, als hätte ihre Besitzerin den ganzen Nachmittag mit einer Whiskeyflasche in der Hand verbracht.
»Al!« Lola schlang mir ihre Arme um den Hals, sah mich dann aber erschrocken an. »Mein Gott, du siehst entsetzlich aus! Bist du okay?«
Ich küsste sie und setzte zu einer Erklärung an, doch wie gewöhnlich hatte Lola viel zu viel zu tun, um wirklich zuzuhören. Einen Klumpen Käsesauce in den langen rötlich braunen Locken, fegte sie durch meine Küche, aber wieder einmal hatte der ihr eigene Zauber seine Wirkung auf Will nicht verfehlt. Zur Abwechslung trug er ein frisches, blaues Leinenhemd, die neue Jeans, die ich ihm aufgezwungen hatte, und selbst seine Haare sahen frisch gewaschen aus. Ich betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er sah meine Freundin lächelnd an und hatte sogar seinen Stock gegen die Wand gelehnt. Allein dafür hatte Lola einen dicken Blumenstrauß verdient. Außerdem brachte sie immer irgendetwas mit, um Will zu unterhalten: Die Reise des jungen Che auf DVD , Zutaten für eine Pizza und einmal sogar ein ramponiertes, uraltes Monopoly, auf das sie in einem Oxfamshop gestoßen war. Ich überließ die zwei sich selbst, ließ mir Badewasser ein, glitt mit einem Seufzer der Erleichterung ins warme Wasser und wusch die vergangenen Tage von mir ab.
Zwanzig Minuten später hatte sich das Bild von Darren, wie er auf mich losgegangen war, fast vollständig in meinem Schaumbad aufgelöst. Ich verteilte Arnikasalbe auf meinen Prellungen und kehrte zu den beiden anderen zurück.
Lola wischte sich die Sauce mit einem Papiertuch aus dem Haar. »Scheiße, Will. Wir haben das Knoblauchbrot vergessen. Schmeiß es einfach in die Mikrowelle, alter Freund.«
In der Küche sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Der ganze Fußboden war mit geriebenem Käse übersät, doch ich konnte Lola deswegen unmöglich böse sein. Gegen ihre Lebensfreude kam ich nicht einmal mit meiner schlimmsten Laune an.
»Voilà!« Triumphierend zog sie die Lasagne aus dem Ofen, und ich konnte deutlich sehen, dass mein Bruder jeden Augenblick ihres Zusammenseins genoss. Für gewöhnlich schmollte er in seinem Zimmer und verweigerte die Aufnahme von allem außer Sandwiches, aber heute war er fast der alte Will. Das machte es mir leicht, mich daran zu erinnern, dass er früher, ohne die zerstörerischen Drogen, ein erfolgreicher und lebensfroher junger Mann gewesen war. Während Lola meinem Bruder Nudeln auf den Teller häufte, beugte er sich zu ihr vor.
»Und, wie läuft es mit der Show?«
Lola riss die grünen Augen auf. »Die Highkicks bringen mich fast um, aber schließlich bin ich auch die Älteste in unserer Tanzgruppe.« Sie starrte erbost auf ihre kilometerlangen Beine, als hätten sie sie irgendwie enttäuscht.
»Hast du einen Notfallplan, falls es mit der Revue langfristig nicht klappt?«, erkundigte ich mich.
»Ich arbeite nebenher mit behinderten Kindern in Hammersmith. Wir richten dort einen Talentwettbewerb aus. Komm doch Samstag mal vorbei. Du wärst bestimmt total begeistert, Al.« Lola beugte sich über den Tisch, stibitzte ein Stück Brot vom Teller meines Bruders und blickte ihn fragend an. »Na, was hast du in letzter Zeit getrieben, Will?«
»Nichts weiter. Außer dass ich dem Club der Wolkenfreunde beigetreten bin. Das ist diese Webseite, auf der es um verschiedene Wolkenarten geht.« Seine hellen Augen fingen an zu blitzen. »Denn die Sache ist die … Wir sollten die Wolken wegen der Botschaften, die sie uns schicken, eingehend studieren.«
Lola blickte ihn verwundert an. »Wegen welcher Botschaften?«
»Jede Wolke schickt uns eine Botschaft. Wenn man sie lange genug betrachtet, kann man sie entschlüsseln.« Seine Miene war so ernst wie die eines Wissenschaftlers, der von einem wichtigen Durchbruch bei seinen Forschungen berichtete.
»Das muss ich unbedingt mal ausprobieren!« Lola strahlte meinen Bruder an und nahm sich den Rest von seinem Knoblauchbrot.
Nach dem Essen legte Will sich wieder auf die Couch und überließ den Abwasch uns.
»Himmel«, flüsterte mir Lola zu. »Er hat immer noch ein paar echt seltsame Ideen, findest du nicht auch?«
»Es ist schon deutlich besser als vor ein paar Monaten. Wenigstens bringt er inzwischen wieder ganze Sätze raus.«
»Da hast du wahrscheinlich recht.« Sie starrte auf
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