Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
Opferschutzbeamter blickte mich mit einem kurzen Lächeln an, und der Mann links neben Burns stellte sich als sein Stellvertreter vor. Mit dem breiten, einnehmenden Grinsen und der sportlichen Figur, obwohl auch seine besten Tage offenbar vorüber waren, sah er nicht nach einem Polizisten, sondern eher nach einem Sportreporter aus. Er war tief gebräunt, hatte sich, um seine Stirnglatze zu tarnen, alle Haare abrasiert, und hing an den Lippen seiner Vorgesetzten, als verkünde sie sein ganz privates Evangelium.
» DI Burns geht davon aus, dass der Tote in King’s Cross nur der Erste einer ganzen Reihe war. Ich halte nicht besonders viel davon, wenn man sich in unserem Job auf seinen Instinkt verlässt, aber wenn er diese Sache ernst nimmt, ist das natürlich sein gutes Recht. Außerdem leitet er schließlich die Ermittlungen zu diesem Fall.« Brothertons Lippen zuckten leicht, als müsse sie ein Lachen unterdrücken, und sie wandte sich an Burns. »Erzählen Sie uns bitte, was Sie bisher rausgefunden haben, Don.«
Allmählich konnte ich verstehen, weshalb Burns mich hinzugezogen hatte. Die Körpersprache seines Stellvertreters – sein verhangener Blick und seine vor der Brust verschränkten Arme – sprach Bände. Er nutzte offenkundig jede Möglichkeit, um deutlich zu machen, dass die Meinung seines neuen Vorgesetzten ihn nicht im Geringsten interessierte, und die anderen Kollegen ahmten seine Haltung nach.
»Die erste Stunde nach der Tat hat uns nicht viel gebracht«, erklärte Burns. »Der Bahnhof wurde fünf Minuten nachdem Gresham auf das Gleis gestoßen wurde abgeriegelt, aber da war es bereits zu spät. Weil unser Täter zu dem Zeitpunkt schon wieder auf der Straße war. Es gibt Videoaufnahmen, wie er mit einem Bus nach Putney fährt. Das waren die letzten Bilder von dem Kerl, bevor er von unserem Radar verschwunden ist.«
Die verschwommenen Aufnahmen, die Burns den anderen reichte, zeigten einen Mann von mittlerer Statur, der mit hängenden Schultern einen Bus verließ. Er hatte die Kapuze seiner Jacke so tief ins Gesicht gezogen, dass sie einen schwarzen Schatten darauf warf, als stelle er den Sensenmann in einer Pantomime dar. Ich starrte auf die Fotos, während Burns die Polizeiarbeit im Anschluss an die Tat beschrieb. Sie hatten Dutzende von Zeugen aus dem U-Bahnhof befragt, Greshams Kleidung im Labor analysiert und seine Familie informiert.
Einer der Kollegen stellte ein graues Plastiktablett auf den Tisch. Irgendjemand hatte Greshams Tascheninhalt kunstvoll darauf arrangiert: zwei weiße Federn, die Postkarte mit dem Engel, eine elegante Lederbrieftasche sowie ein Bündel blutbespritzter Scheine, auf denen die Flecken allerdings nicht leuchtend rot, sondern in einem dunklen Braunton angetrocknet waren. Seine Rolex hatte das Geschehen ohne einen Kratzer überstanden und zeigte uns immer noch genau die Zeit an.
Mein Verdacht, dass Burns sich im vergangenen Jahr in jemand anderen verwandelt hatte, wurde durch seine Art zu sprechen noch verstärkt. Früher hätte er ein paar Notizen auf die Rückseite von irgendeinem Briefumschlag gekritzelt und darauf vertraut, dass einer seiner Untergebenen die ausführlichen Berichte schrieb. Dieses Mal hingegen war er systematisch vorgegangen und hatte darauf geachtet, dass es noch zum winzigsten Beweisstück einen ordentlichen Eintrag gab.
Jetzt hielt er die Karte so, dass alle das Gesicht des Engels sahen.
»Die Fingerabdrücke auf der Karte haben keinen Treffer in der Kiste ergeben.«
Ich durchforstete mein Hirn, bis mir einfiel, dass man bei der Polizei von der nationalen Datenbank meist nur als »Kiste« sprach. Diese Datenbank enthielt Details zu jedem, der jemals auf irgendeine Weise straffällig geworden war.
»Noch Fragen?«, fragte Burns.
»Ich kapiere immer noch nicht ganz, weshalb Sie glauben, dass der Kerl noch mal zuschlagen wird.« Taylors Stimme war ein dumpfes Leiern. »Schließlich sind Banker momentan nicht unbedingt beliebt. Vielleicht hat ja dieser Gresham das Vermögen irgendeines Kerls verspekuliert. Mir erscheint diese Geschichte wie ein Auftragsmord.«
Das Nicken vieler Köpfe zeigte klar, wem die Loyalität der meisten Leute galt.
»Vielleicht haben Sie recht«, erklärte Burns neutral. »Ich will nur möglichst sichergehen, dass wir allen Spuren nachgegangen sind.«
Ähnlich einer Lehrerin, die einen Streit zwischen den Schülern unterbrach, hob Brotherton die Hand und wandte sich an mich. »Wie sehen Sie die Sache, Dr.
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