Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
klang so erschüttert, als hätte der Kerl nicht mich, sondern ihn selber attackiert.
Statt in der Dunkelheit auf Burns zu warten, wankte ich nach Hause, und sofort trat ich vor den Spiegel an der Wand in meinem Schlafzimmer, um mir den Schaden anzusehen. Ich hatte einen Riss im Rock und Grasflecken auf meinem Top, doch vor allem mein aschfahles Gesicht und meine leeren Augen zeigten, dass mir etwas Schlimmes widerfahren war.
Burns wirkte ungewöhnlich schick, als er erschien. Sein dunkles Haar war ordentlich gekämmt, und sein Hemd sah frisch gebügelt aus. Obwohl er so viel abgenommen hatte, sah er immer noch so stark und zuverlässig wie ein Außenverteidiger beim Rugby aus, und seine breiten Schultern luden geradezu dazu ein, sich an ihnen auszuheulen.
»Sie sehen erbärmlich aus«, erklärte er.
»Na vielen Dank«, gab ich zurück, während ich mich in die Küche schleppte und auf einen Hocker fallen ließ.
Burns wühlte in meinem Schränken, bis er eine Flasche Brandy fand, und schenkte mir großzügig ein.
»Hier, trinken Sie. Das ist die beste Medizin.« Er folgte mir ins Wohnzimmer und sah mich forschend an, als ich erzählte, was geschehen war. Als ich ihm die zerfetzte Plastiktüte reichte, hielt er sie auf Armeslänge von sich fort, als hoffte er, sie löse sich vor seinen Augen auf.
»Die bringe ich morgen ins Labor. Taylor wird von der Geschichte sicher nicht begeistert sein – weil sie seine Theorie, dass Stephen Rayner unser Täter ist, über den Haufen wirft. Der arme Kerl sitzt schließlich immer noch in seiner Zelle.«
Auch Burns stand offensichtlich unter Schock. Seine geballten Fäuste sahen aus, als wollte er mit bloßen Händen Paranüsse knacken, und mit seinem grimmigen Gesicht hätte er mir beinahe Angst gemacht. Bis vor wenigen Minuten hatte er gefeiert und gehofft, mit Rayner hätten sie den Richtigen erwischt und eingesperrt.
»Ich sollte Sie in Schutzhaft nehmen, Alice.«
»Danke, ich verzichte.« Mein Bedarf an luftdicht abgeschlossenen Hotelzimmern war durch den Crossbones-Fall mehr als gedeckt.
»Warum hat er Sie sich nicht einfach über die Schulter geworfen?«, überlegte Burns.
»Ich weiß es nicht. Wenn der alte Mann nicht plötzlich aus dem Haus gekommen wäre, hätte ich jedenfalls nicht die geringste Chance gegen ihn gehabt.« Ich sah Burns wieder an, und mir fiel auf, dass sogar sein Dreitagebart verschwunden war. »Wo waren Sie heute Abend überhaupt?«
»Ich war mit einer Kollegin aus. Sie hatte mich zum Essen eingeladen.«
Er wirkte leicht verlegen, und ich hatte Schuldgefühle, weil ich bei ihm angerufen hatte. Denn wahrscheinlich hatte er vorhin sein erstes Date gehabt, seit er von seiner Frau verlassen worden war.
Er brauchte einen Augenblick, bis er wieder im Polizistenmodus war.
»Also, Sie können nicht allein hierbleiben. Deshalb schlafe ich auf Ihrer Couch.«
»Reden Sie doch keinen Unsinn. Ich habe sehr gute Schlösser an der Tür und brauche keinen Bodyguard.«
»Ich bleibe trotzdem hier.« Kampfbereit straffte er seine kolossalen Schultern, und mir wurde klar, dass jede Widerrede zwecklos war. Denn ich hätte einen Bulldozer gebraucht, um ihn aus meiner Wohnung zu bugsieren, und so lief ich eilig los und bezog das Gästebett für ihn.
Weder ich noch Burns bekam in jener Nacht viel Schlaf. Ich konnte das Bett im Zimmer meines Bruders quietschen hören, als er sich hin und her warf, während ich versuchte zu verstehen, weshalb der Angel Killer urplötzlich mich ins Visier genommen hatte. Bisher hatte er nur Männer ausgewählt, die bei der Angel Bank gewesen waren. Vielleicht hatte meine Beziehung zu Andrew ihn verärgert, oder er hatte sein Augenmerk auf das Ermittlerteam gelenkt.
Es dämmerte bereits, bis ich endlich einschlief, und als ich die Augen wieder aufschlug, stand Don Burns mit einem Becher Tee in meiner Tür. Er stellte ihn auf meinem Nachttisch ab und verschwand, so schnell es ging, wieder im Flur.
Ich hatte das Gefühl, als wäre ich im falschen Körper aufgewacht. Meine Schultermuskeln waren zum Zerreißen angespannt. Anscheinend hatte ich sie in dem verzweifelten Bemühen, dem Angreifer zu entkommen, überdehnt. Doch die heiße Dusche half, und von dem Wasser, das auf meinen Körper prasselte, bekam ich einen halbwegs klaren Kopf.
Schließlich trat ich in Shorts und T-Shirt in den Flur.
»Sie wollen doch wohl nicht etwa laufen gehen?« Burns starrte mich entgeistert an. »Um Himmels willen, Sie sind überfallen
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