Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
worden.«
Ich fuhr zu ihm herum. »Aber es wird auch nicht besser, wenn ich mich wie ein verschrecktes Kaninchen hier verstecke, oder?«
»Gott. Sie können ja noch sturer als Darth Vader sein.« Er hob abwehrend die Hände, als würde ich mit irgendwelchen Gegenständen auf ihn zielen, und fuhr mit Kaffeekochen fort.
Mein Bild von ihm geriet vollends ins Wanken, als er auch noch Toast machte und Rührei für uns briet. Schließlich hatte er sich, als ich ihn ein Jahr zuvor zum ersten Mal getroffen hatte, praktisch ausschließlich von Junk-Food, Chips und Schokoriegeln, die er unterwegs in seinem Mondeo verspeist hatte, ernährt.
»Haben Sie heute schon was vor?«, erkundigte er sich. »Ich gehe mit meinen Jungs in den Hyde Park. Wenn Sie wollen, kommen Sie doch einfach mit.«
»Danke, aber ich glaube, ich gehe es erst mal geruhsam an.« Aus irgendeinem Grund konnte ich ihm nicht von dem Besuch erzählen, der für heute in meinem Terminkalender stand.
»Das kann ich verstehen.« Er starrte seinen leeren Teller an. »Aber bleiben Sie heute Nacht bloß nicht allein. Ein Überwachungsteam für Ihre Wohnung kriege ich nämlich erst morgen früh.«
Bevor ich mich bei ihm bedanken konnte, war er bereits fort. Entschlossen zog ich meine Joggingschuhe an, doch ehe ich das Haus verließ, rief ich noch die Nachrichten auf meinem Handy ab. Hari klang normalerweise immer ruhig und ausgeglichen, aber die Stimme, die ich auf der Mailbox hörte, hatte einen angespannten Ton.
»Ruf mich bitte möglichst umgehend zurück«, hatte er am Vorabend um kurz vor zehn gebeten und tief Luft geholt. »Es gibt schlechte Neuigkeiten. Darren ist vor ein paar Stunden aus der Psychiatrie getürmt.«
36
Als ich über die Brücke lief, erstreckte sich der Himmel über mir wie ein gleißend helles, endlos langes Band. Die sonntäglichen Spaziergänger hatten sich bis zum Shadwell Pier in alle Richtungen verstreut, und während ich alleine weiterlief, sah ich am Horizont die Türme der Canary Wharf, die in der Hitze flimmerten, als hätten ihre Fundamente sich aus der Verankerung gelöst. Die Endorphine, die durch meine Adern rauschten, wirkten mindestens so gut wie ein Beruhigungsmittel, und ich sah den Überfall in einem völlig neuen Licht. Vielleicht hatte ja der Angel Killer nichts damit zu tun gehabt. Vielleicht hatte Darren sich nach seiner Flucht, wütend wegen meines mangelnden Interesses, direkt auf den Weg zu meinem Haus gemacht. Aber weshalb hätte er mir wie der Angel Killer eine Plastiktüte überstülpen sollen? Es hätte irgendwie viel eher zu ihm gepasst, einfach wild herum zu zetern, als mir noch mal weh zu tun. Ich hatte sein entgeistertes Gesicht gesehen, nachdem er auf mich losgegangen war. So, als hätte er mit ansehen müssen, wie ein Fremder eine Frau zu Boden schlug. Ich verlangsamte mein Tempo, als mir aus der U-Bahn-Station Wapping ein Schwall überhitzter Luft entgegenschlug.
Nach der Dusche gab ich die Adresse aus Piernans Kalender in mein Navi ein und überließ mich der Führung des GPS . Das Haus in Richmond war so groß, dass ich noch mal überprüfte, ob mir bei der Eingabe des Ziels ein Fehler unterlaufen war – aber nein, ich hatte alles richtig eingetippt.
Ich stellte meinen Wagen ab, betrachtete die Kühe, die friedlich auf einer Weide grasten, und die Themse, die sich Richtung Osten nach Westminster schlängelte, und mir fiel ein, dass Andrew mir erzählt hatte, seine Eltern hätten den Familiensitz verkauft. Falls sie sich mit diesem Haus verkleinert hatten, musste der Familiensitz so groß wie eine Kleinstadt gewesen sein. Das Gebäude hatte unzählige Fenster und eine beeindruckende Treppe, die zu einer pompösen Haustür führte.
Ich bekam allmählich kalte Füße, doch bevor ich es mir noch mal anders überlegen konnte, näherte sich mir ein alter Mann. Meine Nackenhaare sträubten sich, weil die Ähnlichkeit einfach verblüffend war. Genauso hätte Andrew in dreißig Jahren ausgesehen, nachdem seine braunen Haare grau geworden wären.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte mich der Mann.
»Ich bin eine Freundin Ihres Sohnes.«
Blinzelnd gab er mir die Hand. »Kommen Sie doch bitte rein. Es tut meiner Frau wahrscheinlich gut, wenn sie Besuch bekommt.«
Ich warf einen Blick auf die Porträts im Flur. Ich erkannte, dass es Vorfahren von Andrew waren. Ihre Gesichter wurden von weißen Kragen, wie sie zweihundert Jahre zuvor modern gewesen waren, eingerahmt, und gaben mir deutlich zu verstehen,
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