Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
erzielte, war es der City eindeutig egal, woher man kam.
Wegen des Krachs konnte ich meine Freundin kaum verstehen. Sie erzählte mir, sie wäre jetzt bei einer multinationalen Bank, weil die Bezahlung dort erheblich besser wäre. »Vor allem habe ich jetzt Untergebene, die für mich zum Kopierer rennen«, klärte sie mich grinsend auf.
»Erzähl mir, wie Banker ticken.«
Sie zog ihre Wangen ein. »Stell dir eine Welt vor, in der außer Geld nichts anderes mehr von Bedeutung ist. Die Milch der Menschlichkeit ist längst versiegt, und das Einzige, was jetzt noch zählt, ist, dass du dir die Brust vergrößern lassen kannst, einen Ferrari fährst und die Gesichter der Kollegen mit den Absätzen deiner Designer-Schuhe in den Staub der Straße trittst. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, das in die City kommt, wird früher oder später korrumpiert. Da bin ich keine Ausnahme. Inzwischen gebe ich das Geld mit vollen Händen aus.«
»Dann stimmen die Klischees also?« Ich musste lachen, als sie angewidert das Gesicht verzog.
»Ehrlich, diese Leute haben Taschenrechner dort, wo bei anderen die Seele sitzt.«
»Warum arbeitest du hier, wenn es so schrecklich ist?«
»Die Welt ist nun mal nicht perfekt, und ich finanziere meiner Nichte in Ghana das Medizinstudium – weil das sonst niemand kann.« Während eines kurzen Augenblicks war meiner Freundin die Erschöpfung anzusehen, aber gleich darauf setzte sie wieder ihr gewohntes Grinsen auf. »Außerdem kaufe ich einfach für mein Leben gerne ein.«
»Kannst du ein paar Recherchen für mich anstellen? Über die Angel Bank?«
»Ich werde sehen, was ich machen kann – ich kenne jemanden, der dort gearbeitet hat.« Ehe ich sie weiter löchern konnte, hob sie abwehrend die Hände und wandte sich einem anderen Thema zu.
»Und jetzt erzähl mir alles über Lolas neuen Freund.«
»Er ist anscheinend noch so jung, dass sie sich praktisch strafbar macht, indem sie mit ihm schläft. Heute ist der große Abend, an dem ich ihn kennenlernen darf.«
Meine Freundin sah sich suchend in der unteren Etage um. »Verdammt. Es sieht so aus, als ob sie wirklich Riesenglück gehabt hätte.«
Ich entdeckte Lolas flammend rotes Haar sofort. Das Gesicht des Jungen, der an ihrer Seite stand, sah mit seinen vollen Lippen, seinen leuchtend blauen Augen und den blonden Locken, die ihm in die Stirn fielen, wie die Leihgabe einer griechischen Statue aus. Sein Lächeln erinnerte mich an die Werbung einer superteuren Zahnarztpraxis. Trotzdem fragte ich mich, ob es Lola nicht auf Dauer nervte, wenn ihn die Bedienung jedes Mal, wenn er etwas bestellen wollte, um den Ausweis bat.
Allerdings stellte sich Neal als amüsanter, freundlicher Gesellschafter heraus, den es auch nicht störte, wenn ein Spaß auf seine Kosten ging. Er erzählte uns, dass er Musik und Schauspiel an der angesehenen Guildhall School studierte, dass er Lola vor zwei Monaten auf einer Party kennengelernt hätte und dass es ihn nicht die Bohne interessierte, dass sie deutlich älter war als er.
»Danach haben wir dich doch gar nicht gefragt«, meinte Yvette, und er fing schallend an zu lachen.
»Nein, aber es hat euch trotzdem brennend interessiert, nicht wahr?«
Ich konnte verstehen, weshalb Lola ihm verfallen war. Er hatte eindeutig das Zeug zum Star, und trotzdem hätte ich ihn mir bestimmt nicht ausgesucht. Denn jeden Morgen neben einem völlig faltenfreien Menschen aufzuwachen hätte mich total gestresst.
»Du schuldest mir einen Gefallen, Al.« Lola setzte sich und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Denn ich habe Andrew Piernan deine Telefonnummer gegeben.«
»Meine Güte, Lo«, entfuhr es mir. »Du hättest mich wenigstens fragen können.«
»Sie ist eindeutig bescheuert«, sagte Lola zu Yvette. »Dieser wirklich tolle Typ ist vollkommen verrückt nach ihr, und sie nimmt die Beine in die Hand und rennt vor ihm davon.«
Yvette rieb sich die Hände. »Dann schick ihn einfach zu mir. Schließlich ist die Stelle eines Ehemanns bei mir inzwischen wieder frei.«
So gut wie diesen Abend hatte ich mich seit dem letzten Sommer nicht mehr amüsiert. Nach den ersten Drinks nahm unser gefühltes Alter so weit ab, dass wir Neal mit peinlichen Geschichten aus der Schulzeit unterhielten, und erst als der Pub sich langsam leerte, fiel mir wieder ein, dass ich aus einem ganz bestimmten Grund hierhergekommen war. Ein Stück von uns entfernt sammelte ein junges Mädchen leere Gläser ein, und eilig stand ich auf. Burns
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