Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
Denkweise des Killers? Er hatte ein Bild der Hingabe und eins der Trauer ausgewählt. Vielleicht war er als loyaler Diener fallengelassen worden. Vielleicht hatte er an irgendwas geglaubt, was ihm genommen worden war.
Dr. Gillick hielt noch einen kurzen Vortrag über die Bedeutung religiöser Ikonographie, und als ich mich bei ihm bedankte, stand er hinter seinem Schreibtisch auf.
»Sie sollten sich noch ein Gemälde von Spinello ansehen, bevor Sie gehen.«
Ich folgte ihm vier Stockwerke hinauf, bis ich vor einem Schlachtgemälde stand. Eine Schar von Engeln ging mit Dolchen und mit Speeren auf ihre Gegner los. Aus ihren Schultern wuchsen schwarze Flügel, aber noch beunruhigender war die vollkommene Ruhe, die bei dem entsetzlichen Gemetzel auf ihren Gesichtern lag. Es sah aus, als würden sie sich jeden Moment von der Leinwand lösen, um auf die Betrachter dieses Bildes loszugehen.
»Das sind die Racheengel, die die Anhänger von Lucifer aus dem Himmel vertreiben.« Gillicks onkelhaftes Lächeln legte sich. »Davon könnte man glatt Alpträume bekommen, finden Sie nicht auch?«
Während ich im Bus nach Süden fuhr, schwirrten mir die Engel weiter durch den Kopf. Ihre ausdruckslosen Mienen waren makellos, und langsam konnte ich verstehen, weshalb ein intellektueller Killer von ihnen besessen war. Ihre Komplexität war einfach faszinierend. Denn obwohl sie einerseits zu extremen Formen von Gewalt fähig waren, konnten sie andererseits auch mitleidig und sanftmütig sein. Vielleicht sah der Killer sich ja in derselben Rolle und verhängte harte Strafen über alle Sünder, die ihm in die Quere kamen, während er im Umgang mit den Menschen, die er liebte, eine engelhafte Freundlichkeit bewies.
Kaum hatte ich das Krankenhaus erreicht, wandten sich meine Gedanken abermals den Menschen zu. Eine der Empfangsdamen winkte mich säuerlich an ihren Tisch und informierte mich darüber, dass einer meiner Patienten ausfallend geworden war. Er hatte nach mir verlangt, und als sie ihm erklärt hatte, dass ich nicht zu erreichen wäre, hatte er sie wütend angeschrien.
»Darren Campbell?«
»Genau der.« Sie schüttelte missbilligend den Kopf, als wäre ich die Mutter eines Kindes, die nicht eingegriffen hatte, als es frech geworden war.
»Könnten Sie bitte einen Termin bei Dr. Chadha für ihn machen, wenn er noch mal kommt?«
Sie machte ein Gesicht, als lutsche sie an einem sauren Drops, und tippte irgendetwas in ihren Comput er e in.
In meinem Beratungszimmer herrschten Temperaturen wie in der Sauna. Ich riss das Fenster auf, nahm hinter meinem Schreibtisch Platz und rief meine E-Mails auf. Hari hatte den Bericht über den Zwischenfall mit Darren zum Beweis, dass die Beendigung des Antiaggressionstrainings ein Fehler war, an den Verwaltungsrat geschickt, und am liebsten hätte ich den Typen auch noch meine Prellungen gezeigt. Gegen Mittag, während ich versuchte, meine Klimaanlage zum Leben zu erwecken, klingelte mein Telefon, und Burns kam sofort auf den Punkt.
»Wir haben die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung von Jamie Wilcox reingekriegt. Die Menge Rohypnol, die er im Blut hatte, hätte wahrscheinlich selbst ein Pferd problemlos umgehauen.«
Inzwischen konnte ich verstehen, weshalb ihm vor dem Angriff eine todbringende Dosis des als Vergewaltigungsdroge bekannten Schlafmittels verabreicht worden war. Offenbar hatte sein Mörder ihn nicht leiden lassen wollen und dieses Vorgehen als Akt der Gnade angesehen.
»Außerdem hat uns die Bank endlich Greshams Laptop überlassen. Sie scheinen zu denken, damit wären sie uns los.« Burns stieß einen leisen Pfiff aus und fuhr fort: »Es ist geradezu unglaublich, aber er hat wirklich alles sorgfältig notiert. Jede Orgie, an der er teilgenommen hat, jede Portion Koks, die er sich reingezogen hat, jede Frau, bei der er jemals war. Kein Wunder, dass er unbedingt verhindern wollte, dass die werte Mrs Gresham was davon erfährt.«
Mrs Gresham fände es bestimmt entsetzlich, wenn ihr Mann von dem Podest gestoßen würde, auf das sie ihn gehoben hatte. Aber vielleicht ließe sie dann ja wie Margaret Thatcher in der Nacht der langen Messer endlich für einen kurzen Augenblick ihre harte Maske fallen. Dann dachte ich an Stephen Rayner, der voller Bewunderung für seinen Boss gewesen war.
»Ich muss mit seinem Stellvertreter sprechen«, sagte ich.
»Warum das denn? Schließlich macht schon Taylor Jagd auf ihn, und wenn wir so weitermachen, werden wir bestimmt
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