Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
verklagt.«
»Tun Sie mir den Gefallen, Don. Er hat jahrelang mit Gresham zusammengearbeitet, und ich muss einfach wissen, ob ihm in der letzten Zeit eine Veränderung an seinem Vorgesetzten aufgefallen ist.«
Er sagte wiederstrebend ja und wollte von mir wissen, was ich bei Dr. Gillick erfahren hatte. »Und wie war es bei dem Engel-Typ?«
»Wirklich interessant. Mir war bisher gar nicht klar, was für ein gemeiner Haufen Engel sind. Wahrscheinlich bildet unser Mann sich ein, dass er auf einem Kreuzzug ist.«
»Na super«, stöhnte Burns. »Etwas Schlimmeres als diese selbsternannten Gotteskrieger gibt es nicht.«
Nach der Arbeit lief ich bis zur U-Bahn-Station London Bridge, und auf dem Bahnsteig stellte ich mir Leo Gresham vor. Ich kniff die Augen zu und sah ihn vor mir, wie er mit den Schultern auf die harten, kalten Gleise krachte und in Todesangst dort lag, bevor der Schmerz ihn traf. Als ich meine Augen wieder aufschlug, war mein Zug bereits davongefahren. Kein normaler Mensch käme jemals auf die Idee, dass eine so gnadenlose Tat moralisch irgendwie vertretbar wäre. Deshalb musste unser Killer jemand sein, der selbst grausame Schmerzen litt. Als die nächste U-Bahn einfuhr, holte ich tief Luft und stieg entschlossen ein.
Bis ich die Station Banks erreichte, hatte meine schlechte Laune sich gelegt. Die Gehwege hatten den ganzen Tag lang Hitze absorbiert und strahlten sie wie eine Reihe riesengroßer Heizkörper jetzt langsam wieder aus. Gruppen junger Mädchen hatten die Kostüme, die sie bei der Arbeit trugen, gegen rückenfreie Kleider eingetauscht und schlenderten gutgelaunt an mir vorbei.
Yvette erwartete mich vor der Tür des Counting House. Ihr Erscheinungsbild hatte sich nicht verändert, seit sie ihren Job als Personalchefin des Krankenhauses aufgegeben hatte, weil sich an der Börse dreimal mehr verdienen ließ. Das leuchtend pinkfarbene Kleid und die Flechtfrisur, die ihre hohen Wangenknochen vorteilhaft zur Geltung kommen ließ, waren typisch für den ausgefallenen modischen Geschmack, der eins ihrer Markenzeichen war. Sie küsste meine Wangen und nahm mich in den Arm. »Müssen wir da wirklich rein? Dort trifft man nur Idioten.«
Trotzdem nickte ich. »Ich studiere ihr Verhalten, bin also beruflich hier.«
»Du gibst einfach nie auf, nicht wahr?« Sie rollte mit den Augen, blickte mich dann aber grinsend an.
Erst mal sah ich mir den Pub von außen an. Mit der Reihe Bogenfenster und der strengen Steinfassade war ihm die Vergangenheit als Bausparkasse deutlich anzusehen. Dank der unzähligen Nadelstreifenrücken vor der Theke kam man sich wie auf einer Versammlung aller Banker Londons vor.
»Mach einfach die Augen auf, wenn du was lernen willst«, flüsterte Yvette mir zu. »Diese Typen haben unser Land an den Rand des Abgrundes gebracht.«
Als sie loslief, um nach einem freien Tisch zu suchen, war ihr Kleid der einzige bunte Fleck im ganzen Raum. Beinahe alle anderen Börsenspekulanten waren männlich, unter dreißig und sprühten nur so vor Ehrgeiz und Testosteron. Natürlich tranken solche Männer kein normales Bier, sondern komplizierte Drinks wie supertrockene Martinis oder klassische Gin Slings. Ich sah dem Barmann deutlich an, dass er sich nach Hause sehnte, doch zumindest gab mir die Wartezeit Gelegenheit, mir die Kneipe ein bisschen genauer anzusehen. Es war eine Schande, dass die Jungs aus der City diesen Ort für sich beschlagnahmt hatten. Denn durch die gläserne Kuppel flutete das Abendlicht den Raum und verlieh den Mahagonimöbeln in den beichtstuhlgleichen Nischen an einer der Wände einen seidig weichen Glanz. Sicher hatten sich vor hundert Jahren Schuldner dort versteckt und im Flüsterton Geheimnisse mit ihren Finanzberatern ausgetauscht. Yvette winkte mir aus Richtung Galerie, und ich schob mich durch das Gedränge auf der Treppe, bis ich bei ihr war.
»Diese Typen tun, als würden sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Schwarze sehen.« Yvette blickte in Richtung eines Tisches voll junger Geschäftsmänner. »Einer hat sogar gefragt, ob er mich nachher nach Hause fahren soll.«
Um mich herum wogte ein Meer aus pastellfarbenen Hemden, seidenen Krawatten, sorgfältig geschnittenem Haar, aber wenigstens entdeckte man an diesem Ort inzwischen auch die eine oder andere Frau. Die Märkte hatten offensichtlich einen guten Tag gehabt, denn sonst hätten alle diese Männer keinen solchen Lärm gemacht. Die unterschiedlichsten Akzente drangen an mein Ohr. Solange man Gewinn
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