Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
dass ich bereits viel zu lange nicht mehr beim Frisör gewesen war.
Burns erwartete mich schon, als ich endlich in Knightsbridge ankam. Er hatte seinen Wagen in der Raphael Street vor einem eleganten Stadthaus abgestellt und ging gerade die Anrufe auf seinem Handy durch. Greshams heimliche Bekanntschaft schien ausnehmend wohlhabend zu sein. Das Gebäude lag in Londons exklusivstem Viertel einen zweiminütigen Spaziergang vom Hyde Park entfernt.
»Na, ist es gestern spät geworden?« Burns sah mich über den Rand von seiner Brille hinweg an.
»Fragen Sie mich nicht. Zu wem wollen wir überhaupt?«
»Zu Greshams Lieblingsmädchen, Poppy Beckwith. Er hat ihr so gut wie jeden Tag gemailt.« Er setzte ein gequältes Lächeln auf. »Ich hatte früher schon einmal mit ihr zu tun. Ihre Familie ist stinkreich, aber sie hat sich mit ihnen überworfen und geht auf den Strich, seit sie die Schule abgebrochen hat.«
Neugierig folgte ich Burns zur Tür. Wer auch immer die Bewohner dieses Hauses waren, sie zahlten dem Hausmeister anscheinend gutes Geld, denn die Eingangshalle wirkte ausnehmend gepflegt. Wir stiegen in die oberste Etage und wurden von einer großen, schlanken Frau begrüßt. Sie hatte schwarzes, fast hüftlanges Haar und eins von diesen zarten, vollkommen symmetrischen Gesichtern, die aus jedem Winkel rundherum perfekt aussahen. Wahrscheinlich hätte man sie tagelang an den Füßen von der Decke baumeln lassen können, und sie hätte immer noch phantastisch ausgesehen. Sie ignorierte Burns, doch mir gab sie die Hand, als böte sie mir einen einstweiligen Waffenstillstand an.
»Sie kommen ungünstig. Ich wollte gerade gehen.« Man hörte ihrer rauen Raucherstimme deutlich an, dass sie entweder Sprechunterricht genommen hatte oder Schülerin eines Eliteinternats gewesen war. Sie trug ein dunkelrosa Seidenkleid, das nur ein schmales Band zusammenhielt, und es sah aus, als rutsche es ihr jeden Augenblick vom Leib.
Ich blickte durch das Fenster ihres Wohnzimmers vorbei an Speaker’s Corner auf die Ruderboote auf dem See. Als ich mich wieder umsah, hatte Beckwith sich auf eine rote Chaiselongue gesetzt und bedachte Burns mit einem argwöhnischen Blick. Sie zuckte nervös zusammen, als man plötzlich aus dem Nebenzimmer Schritte hörte, und ich merkte, dass sie offenbar nicht nur nach Zigaretten süchtig war. Unweigerlich tat sie mir leid. Obwohl sie in Luxus schwelgte, ging es ihr nicht besser als den Mädels, die sich in den Pubs entlang der Marylebone Road nach Kundschaft umsahen.
»Na, wie stehen die Aktien, Poppy?«, fragte Burns.
»Bestens, vielen Dank. Die Rezession hat mich bisher verschont.«
Ich sah mich in dem Zimmer um. Für meinen Geschmack war es etwas zu glamourös, doch der goldfarbene Seidenüberwurf auf einem der Sofas und die beiden scharlachroten Läufer, unter denen nur noch ein kleiner Teil des weißen Dielenbodens zu sehen war, zeugten vom ausgeprägten Stilbewusstsein der Besitzerin. Trotzdem hatte Poppy offenbar auch einen leichten Hang zum Kitsch. Sonst hätte sie bestimmt kein so großes Aktgemälde einer Frau, die uns verschämt den Rücken zuwandte, über den Kamin gehängt.
»Das bin ich, falls es Sie interessiert«, sagte Beckwith in herausforderndem Ton.
»Es ist wunderschön«, erklärte ich und erwiderte die eingehende Musterung, der sie mich unterzog. »Genau wie alles andere hier.«
Sie sah so selbstzufrieden aus, als wäre meine Antwort der Beweis dafür, dass ihr etwas Wichtiges gelungen war.
»Wir sind nicht hier, weil wir die Einrichtung bewundern wollen, Poppy«, meinte Burns und schlug entschlossen sein Notizbuch auf. »Erzählen Sie uns was von Ihrem toten Freund.«
»Bitte«, sagte Beckwith leise. »Leo war einer meiner Lieblingskunden, denn er hat mich immer in die besten Restaurants geführt und mich auch sonst nach Strich und Faden verwöhnt. Er verkörperte alles, was man sich von einem reichen Liebhaber nur wünschen kann.« Sie lachte leise auf, brach aber sofort wieder ab. »Er war ein gegenüber allen Menschen großzügiger Mann.«
»Hat er auch diese Wohnung hier bezahlt?«
Beckwith zog die Brauen hoch. »Sie machen Witze. Diese Wohnung und das ganze Drum und Dran gehören mir.«
»Offenbar sind Sie diejenige, die Witze macht. Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, saßen Sie wegen Drogendelikten im Knast.«
»Das ist sechs Jahre her.« Sie bedachte ihn mit einem bösen Blick, hielt die Stille aber nur kurz aus. »Danach habe ich mein Leben in den
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