Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
kurzem in der Tooley Street eröffnet hatte. An fast allen Tischen saßen Paare vor Croissants und Milchkaffee. Vielleicht dachte ich, dass ich inmitten dieser Menschen sicher wäre, wenn ich ihm die schlechte Nachricht überbrachte, aber er klang so entspannt wie immer. Vielleicht hatte ich mich ja in ihm getäuscht. Vielleicht saß er ja allabendlich mit einer anderen Frau Chez Bruce.
»Ich fürchte, ich habe heute Abend schon was anderes vor.«
»Darf ich fragen, was?« Meine Entschuldigung schien ihn zu amüsieren.
»Ich will laufen gehen. Ich trainiere für den London Marathon.«
»Okay.« Es schien ihn nicht im mindesten zu stören, dass seine großzügige Einladung so einfach von mir ausgeschlagen worden war. »Ein bisschen Bewegung täte mir wahrscheinlich gut.«
Nervös legte ich schließlich wieder auf. So viel zu meinem Plan, seine Telefonnummer zu löschen und weiterzuleben wie bisher. Ich kippte den Rest meines Kaffees herunter und versuchte zu verstehen, wie es dazu gekommen war. Mit einer Sache hatte Freud eindeutig recht: Fehler sind einfach ein anderer Weg, das zu erreichen, was wir wollen. Trotz meiner Nervosität freute ich mich bereits auf das Wiedersehen.
Als ich in ein Taxi stieg, lag auf dem Rücksitz eine Metro -Ausgabe vom Tag zuvor. Der Fahrer kämpfte sich durch den Verkehr, während die Schlagzeile verkündete: ANGEL KILLER NOCH IMMER NICHT GEFASST ! Es überraschte mich, wie freimütig die Polizei der Presse gegenüber war. Sie hatte sogar preisgegeben, dass der Mörder fasziniert von Engeln war. Vielleicht hoffte Burns, dass irgendjemand den Artikel las und sich an das Interesse eines Freundes an den geflügelten Boten erinnerte. Das einzige Detail, das er zurückgehalten hatte, waren die Federn, die an beiden Tatorten zurückgelassen worden waren. Ich blätterte den Rest der Zeitung durch, aber abgesehen von den Aufnahmen verschiedener Prominenter, deren Schönheits- OP s fehlgeschlagen waren, und der Meldung, dass ein weiterer Fußballer seine Frau betrogen hatte, interessierte mich dort nichts.
In der teuren Gegend um die Old Street Station lagen die mit bunt bepflanzten Blumenkästen reich verzierten Wohnungen über teuren Delikatessenläden oder exklusiven Galerien. Vor dem Haus von Stephen Rayner stieg ich aus dem Taxi und hielt Ausschau nach Don Burns. Doch von der anderen Straßenseite winkte mir Steve Taylor zu. Im grellen Sonnenlicht sah er völlig verändert aus. Um die Augen herum streckte sich ein Netz aus tiefen Falten aus, und seine Haut sah aus wie trockenes Pergament. Vielleicht legte er sich an den Wochenenden stundenlang in seinen Garten und saugte die Sonnenstrahlen in sich auf. Ich konnte meine Abneigung gegen den Mann nur mit Mühe unterdrücken. Er war genau die Art von Machotyp, um die ich einen möglichst großen Bogen machte, seit ich wegen eines solchen Kerls im Krankenhaus gelandet war.
»Ich hatte Burns erwartet«, sagte ich.
»Aber Sie hatten Glück, denn jetzt haben Sie mich gekriegt.« Höhnisch grinsend fügte er hinzu: »Sie können mit dem Typen reden, denn ich bin gespannt darauf, Sie endlich einmal in Aktion zu sehen.«
Ich ignorierte ihn und ging ins Haus. Rayner wohnte direkt über dem Büro eines bekannten Maklers, und wahrscheinlich wurde er allmorgendlich von lautem Telefonklingeln geweckt. Denn schließlich war die Stadt nichts anderes als eine Ansammlung von Wohnungen und Häusern, die nur darauf warteten, dass sich ein neuer Käufer für sie fand. Hier in dieser Gegend sah man derart viele »Zu verkaufen«-Schilder in den Fenstern, dass man hätte meinen können, die ganze Straße stünde zum Verkauf.
Als die Tür schließlich geöffnet wurde, riss ich überrascht die Augen auf. Offenbar hatte der Tod seines Vorgesetzten Rayner ziemlich mitgenommen, aber nie zuvor in meinem Leben hatte ich einen derart gepflegten Mann gesehen. Die Ärmel seines Hemdes wiesen messerscharfe Falten auf, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er jemals unrasiert das Haus verließ. Trotzdem stimmte irgendetwas nicht mit seinem Gesicht. Die einzelnen Bestandteile wirkten zu groß, um überhaupt hineinzupassen: vorquellende Augen, eine breite pinkfarbene Nase und ein riesengroßer, schmallippiger Mund.
Er führte uns ins Wohnzimmer, in dem an einer Wand so viele ungerahmte Fotos hingen, dass sie teilweise noch nicht mal ganz zu sehen waren. Dutzende von Fremden sahen auf mich herab, und eine Reihe Landschaftsbilder zeigte einen Hügel, hinter dem
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