Blutiger Freitag
Vaters. Was dieser ihm nie verziehen hatte.
Sogar Nicks Karriere bei der Polizei war zu einer Enttäuschung geworden. Er hatte sich zum Bezirkssheriff wählen lassen, nachdem Morrelli senior als lebende Legende aus diesem Job geschieden war. Doch Nick hatte den alten Morrelli ein weiteres Mal beschämt – diesmal, indem er einen Killer geschnappt hatte, der seinem Vater seinerzeit entwischt war. Das hätte ja alles andere ausgleichen sollen. Letztendlich hatte Nick Erfolg gehabt. Doch so sah Antonio Morrelli das nicht. Stattdessen fand er, dass sein Sohn ihn blamiert und öffentlich bloßgestellt hatte.
Der Umzug nach Boston war Nicks erster Schritt gewesen, aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Antonio Morrelli hatte nie als Bezirksstaatsanwalt gearbeitet und nie mit so brisanten Fällen zu tun gehabt, bei denen es um Drogenhandel oder Massenmord ging. Mit solchen Straftaten hatte Nick sich als Bezirksstaatsanwalt von Suffolk täglich beschäftigt.
Und trotzdem reichte es nicht. Ganz offensichtlich reichte es nicht. Denn hier war er nun. Wieder zu Hause, immer noch auf der Suche. Aber diesmal hoffentlich nicht nach der Zuneigung seines Vaters.
Doch genau das schien seine Mutter zu vermuten. Bei ihr klang es so, als wäre Nick extra zurückgekommen, um das letzte gemeinsame Weihnachtsfest mit Antonio Morrelli zu erleben.
Seine Schwester hatte dagegen eine andere Theorie. Ihrer Ansicht nach wollte Nick unbedingt den Ersatzvater für seinen kleinen Neffen spielen. Das stimmte zum Teil. Er mochte Timmy und wollte gern an dem Leben des Jungen teilhaben. Aber im Grunde waren Nicks Motive bei Weitem nicht so großmütig und nobel. Tatsächlich waren sie ziemlich eigennützig.
Ja, er wollte das letzte gemeinsame Weihnachtsfest mit dem Vater in der Familie feiern. Doch er war hauptsächlich vor der plötzlichen Einsamkeit geflohen. Sein Apartment in Boston war ihm so leer vorgekommen, und selbst in seinem Job hatte sich dieses hohle Gefühl breitgemacht. Es fühlte sich so an, als hätte er etwas verloren. Nur was? Seine Exverlobte Jill Campbell war es offensichtlich nicht. Überraschenderweise hatte ihre Abwesenheit kaum etwas verändert. Leider galt das auch für seinen Abschied von Boston. Die Leere verfolgte ihn. Er trug dieses hohle Gefühl ständig mit sich. Vielleicht war das nicht die richtige Art, es zu beschreiben, aber so fühlte er sich jedenfalls.
Sein gegenwärtiger Job bei einer hochrangigen Sicherheitsfirma lenkte ihn zweifellos ab. Ihm gefiel diese neue Herausforderung. Und die Arbeit wurde auch gut bezahlt... oder zumindest würde das bald der Fall sein. Irgendwann. Er hatte erst vor einem Monat angefangen.
„Ich weiß, dir geht es nicht besonders“, sagte Christine und unterbrach seine Gedankengänge.
„Mir geht es gut.“
„Es ist nicht schlimm, zuzugeben, dass es einem schlecht geht.“
„Mir geht es nicht schlecht.“
Sie warf ihm wieder diesen Blick zu, der ihm bedeutete, wie erbärmlich er sich aufführte.
Okay, vielleicht ging es ihm nicht so besonders, vielleicht war er unglücklich, fühlte sich leer.
„Das ist verständlich.“ Christine schien das Bedürfnis zu haben, hier mitten in Lanoha’s Baumschule über seine Probleme zu reden. „Du hast immerhin erst vor Kurzem deine Verlobung gelöst. Wie lange ist es her? Fünf Monate?“
„Jill hat damit nichts zu tun“, entgegnete Nick mit zusammengebissenen Zähnen. Hoffentlich würde seine Schwester kapieren, dass er nicht darüber sprechen wollte. Aber wahrscheinlich fühlte sie sich jetzt nur noch in ihrer Meinung bestätigt.
„Wenn es nicht Jill ist“, sagte Christine scheinbar ganz nebenbei, während sie die Preisschilder einiger Adventskränze begutachtete, „dann muss es Maggie sein.“
Es war, als hätte sie ihm einen Messerstich verpasst. Nick konnte gerade noch verhindern, dass er zusammenzuckte. Er hatte in den vergangenen vier Wochen einsehen müssen, dass Maggie O’Dell ihr Leben weiterlebte und kein Interesse an einer Beziehung mit ihm hatte. Dabei hatte er sich wirklich alle Mühe gegeben, sie umzustimmen. Fast wäre er noch eine Art Stalker geworden. Es war vorbei. Zeit, endlich weiterzumachen. Das sagte er sich immer wieder. Der Kopf hatte es laut und deutlich vernommen. Sein Herz hatte es nicht verstanden.
„Ich weiß“, sagte Christine, die sein Schweigen als Zustimmung deutete. „Es ist kompliziert.“
Aber das stimmte nicht. Es war eigentlich alles ganz einfach. Nick war Maggie vor
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