Blutiger Freitag
nickte.
„Wie sind Sie denn da rangekommen?“ Normalerweise bekam man nicht so einfach Zugriff auf solche Dokumente. Auch waren nicht immer alle Informationen enthalten. Bei besonders grausamen Fällen dienten diese Besprechungen hauptsächlich auch als psychologische Hilfestellung für die Agenten.
„Tut nichts zur Sache. Ich habe eine Kopie. Nehmen Sie den Ordner mit, und sehen Sie ihn in Ruhe durch.“
Sie öffnete den Pappdeckel. Ihr Blick fiel auf geschwärzte Namen und eine Reihe von rechteckigen Stempeln.
„Es waren ursprünglich 43.000 Berichtsblätter“, sagte Kunze, „35.000 Zeugenaussagen. Wahnsinn. Sie können sich das nicht vorstellen. Ein paar Zeugen ...“ Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung daran. „Ich habe einige der ersten Befragungen durchgeführt. Das ist mir noch so präsent, als hätten die Gespräche erst letzte Woche stattgefunden. Rodney Johnson. Der Typ befand sich auf einem Parkplatz gegenüber der Fifth Street. Er sah zwei Männer, die vom Verwaltungsgebäude herübergerannt kamen. Fragte sich noch, warum die beiden es so eilig hatten. Eine Minute später flogen ihm von dem Stoß der Druckwelle die Scheiben aus seinem Pick-up heraus.
Johnson konnte beide Männer beschreiben. Der eine war ganz offensichtlich Timothy McVeigh. Der andere soll einen olivfarbenen Teint und dunkles Haar gehabt haben. Er war muskulös gebaut und trug eine Panthers Baseballkappe. Das passte absolut nicht zu dem Bild von Terry Nichols.
In Junction City war es genauso. Hier hat McVeigh den Transporter gemietet. Joanna Van Buren arbeitete in einem Subway-Imbiss in der Nähe des Autoverleihs. Sie sagte aus, dass eine Gruppe von drei Männern bei ihr Essen bestellt hätte. An McVeigh erinnerte sie sich, weil sie ihm eine Fünfzigdollarnote wechseln musste. Nachdem sie die Nachrichten gesehen hatte, rief sie uns sofort an. Ich bin mit einem Kollegen nach Junction City gefahren. Wir haben sie und zwei andere Angestellte befragt. Sie haben McVeigh identifiziert und vage Beschreibungen von den anderen beiden geliefert. Wieder hieß es, einer der beiden hätte eine dunklere Hautfarbe, dunkles Haar und wäre muskulös. Der Sandwich-Laden hatte eine Überwachungskamera. Ich dachte, wir hätten unwahrscheinliches Schwein, habe das Video konfisziert.“
Kunze musste Maggies erwartungsvollen Blick gesehen haben, als sie sich aufrichtete, denn er schüttelte den Kopf.
„Das Video war verschwunden, bevor ich überhaupt einen Blick darauf werfen konnte. Fragen Sie bloß nicht. Über zwanzig Zeugen sahen McVeigh mit jemand anderem als Terry Nichols. Die Beschreibungen glichen sich auf erstaunliche Weise.“
„Aber es gab eine Zeichnung, die ziemlich früh veröffentlicht wurde.“
„Das Ding ist ...“ Kunze zögerte einen Moment. „Die meisten Befragungen wurden schon gemacht, bevor die Zeichnung überhaupt existierte. Augenzeugen sind oft unzuverlässig. Davor hat man uns ja schon immer gewarnt, nicht wahr? Aber wenn über ein Dutzend Leute dermaßen übereinstimmend einen Typen beschreiben?“
„Was wollen Sie also damit jetzt sagen?“ Dass John Doe Nr. 2 tatsächlich existiert? Dass er der Projektmanager sein könnte?“
„Ob er existierte oder nicht, kann ich Ihnen nicht sagen. Das haben wir ja nie herausgefunden. Kennen Sie die Theorie von ,Ockhams Rasiermesser’?“
„Ich glaube schon.“ Sie konnte sich vor Müdigkeit nicht mehr besonders gut konzentrieren. Während sie sich die Augen rieb, sagte sie: „Es geht darum, dass die einfachste Erklärung die richtige ist.“
Er nickte, betrachtete seine Hände, bevor er sie auf dem Tisch faltete. Dann löste er die Finger wieder voneinander.
„Man hat uns eingetrichtert, sich danach zu richten“, sagte er schließlich. „Bei ,Ockhams Rasiermesser’ geht es darum, alle Hinweise, die zur Erklärung eines Falles nicht notwendig sind, wegzulassen. Wenn ich zwei Theorien habe, die beide zum Ergebnis führen, ist die einfachste der beiden meist die korrekte. Bei all unseren Theorien lief es darauf hinaus, dass McVeigh schuldig war – egal, mit wie vielen Männern er gesehen wurde oder ob er immer wieder mit demselben dunkelhäutigen Mann zusammen gewesen sein soll. Also eliminiert man alles, was man sich nicht erklären kann, alles, was lediglich eine Spekulation darstellt.“
„Mit anderen Worten: Sie wurden daran gehindert, herauszufinden, wer John Doe Nr. 2 war.“
„Gewisse Leute waren nicht an einer vollständigen Aufklärung
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