Blutiger Klee: Roman (German Edition)
er auf dem Weg rüber zur Kapelle in den Wald gegangen ist.«
»War irgendetwas
anders als sonst? Ist Ihnen etwas aufgefallen?«
Jakob Rittlinger
schüttelte nur den Kopf.
»Haben Sie
vielleicht im Lauf des Vormittags eine andere Person auf dem Weg gesehen?«
Jakob Rittlinger
schüttelte wieder den Kopf. »Ich war dann in der Küche. Da sieht man nicht auf den
Weg.«
»Waren Sie
allein im Haus?«
»Die Frau
Gräfin ist runter in den Ort gefahren, weil keine Milch im Haus war.«
»Wann haben
Sie erfahren, dass …«
»Die Frau
Gräfin war schon zurück, wie der Anruf gekommen ist. Sie ist dann zu mir in die
Küche gekommen und hat es mir gesagt.«
Pestallozzi
betrachtete sein Gegenüber. Wie viel konnte man dem Mann noch zumuten? Konnte man
ihn hier einfach so zurücklassen?
»Gibt es
jemanden, den wir verständigen können? Haben Sie jemanden, der für Sie sorgt?«
Der alte
Jakob schien die Frage nicht ganz zu verstehen, er hob den Kopf und sah Pestallozzi
an, es war, als ob er wieder Kräfte sammeln würde. »Morgen kommt ja die Familie,
da muss jemand da sein. Und die Magdi kommt zum Helfen. Das passt schon, Herr Chefinspektor.«
›Das passt
schon‹, dachte Pestallozzi. Diese Phrase hatte er heute schon einmal gehört. Zähe
alte Menschen, die hier lebten.
»Eine letzte
Frage noch, Herr Rittlinger. Der Herr Gleinegg hat Linsen in seinen Schuhen gehabt.
Können Sie mir das erklären?«
Jakob Rittlinger
blickte starr auf die blank gewischte Tischplatte. »Davon weiß ich nichts.«
Pestallozzi
sah Leo an. Es war genug für heute. Sie erhoben sich, der alte Mann stand ebenfalls
auf, er musste sich dafür am Tisch abstützen.
»Vielen
Dank, Herr Rittlinger. Bleiben Sie ruhig da, wir finden schon allein hinaus. Auf
Wiedersehen.«
Sie nickten
ihm zu und gingen zu dem offenen Türrahmen, der in den Gang hinausführte. Plötzlich
drehte sich Pestallozzi noch einmal um, er musste es einfach wissen.
»Der Herr
Gleinegg hat doch vier Töchter, oder?«
Jakob Rittlinger
stand noch immer am Tisch, er musste offensichtlich alle Kraft zusammennehmen, um
den Kopf zu heben und Pestallozzi ins Gesicht zu blicken.
»Das Fräulein
Charlotte ist im See ertrunken. Mit 16 Jahren.«
Dann gingen
sie endgültig.
Pestallozzi
registrierte es selber, fast fand er es lächerlich. Aber sie liefen beinahe, er
und Leo, um aus diesem Haus zu kommen. Die Halle war leer und nun beinahe schon
ganz finster, und auch in dem großen Zimmer mit den Buchregalen brannte kein Licht.
Leo öffnete das Portal und ließ Pestallozzi den Vortritt, dann eilten sie die Stufen
der Freitreppe hinab. Leo entriegelte den Skoda mit der Fernbedienung, und Pestallozzi
ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, Leo setzte sich hinters Lenkrad und startete
den Motor beinahe im selben Augenblick.
»Wahnsinn«,
sagte Leo. »So froh war ich noch nie, dass ich in meiner kleinen Klitsche wohne.«
Sie fuhren
los, über den Kiesweg an der Statue und dem chinesischen Pavillon vorbei, durch
das offene Tor. Krinzinger stand noch immer da, sie hielten neben ihm an, und Pestallozzi
ließ die Scheibe herunter.
»Vielen
Dank, Inspektor. Das wär’s für heute. Wir sehen uns dann morgen.«
Krinzinger
salutierte und beugte sich zum offenen Fenster.
»Ich habe
den Gmoser abbeordert, dass er heute Nacht hier Wache hält. Die meisten von den
Schreiberlingen sind runter in den Ort, aber ein paar wollen sogar da campieren,
damit sie nichts verpassen. Denen trau ich sogar zu, dass sie über die Mauer klettern.
Bei Tagesanbruch löse ich dann den Gmoser wieder ab.«
»Ausgezeichnet.
Also dann, bis morgen.«
Leo fuhr
wieder los, keinen Augenblick zu früh, denn aus dem Kastenwagen, der noch immer
unter den Bäumen stand, sprintete gerade eine Frau mit Mikrofon auf sie zu, einen
Kameramann im Schlepptau.
»Herr Chefinspektor,
nur einen Augenblick«, tönte es zu Pestallozzi, der die Scheibe wieder hochfuhr.
»Können Sie uns bestätigen, dass …«
»Schmeißfliegen«,
zischte Leo. Sie rumpelten hinunter zum See und bogen auf die Uferstraße ein, zwei
Kilometer weiter waren sie endlich auf der Schnellstraße, die nach Salzburg führte.
Kolonnen wälzten sich auf beiden Seiten, immer wieder riskierte einer ein halsbrecherisches
Überholmanöver. »Nierenspender«, schimpfte Leo schon wieder, Pestallozzi sagte nichts.
Sie waren beide müde, hungrig, ausgelaugt. Und das war erst der Anfang.
Erst als
sie die Lichter der Stadt wie eine Morgendämmerung hinter einem
Weitere Kostenlose Bücher