Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Hügelkamm erahnen
konnten, fing Leo wieder zu sprechen an. »Im Präsidium ist die Hölle los, aber das
habe ich dir ja schon gesagt. Ich habe telefoniert, wie du mit dieser alten Frau
gesprochen hast, die ihn gefunden hat. Der Grabner hat für morgen, gleich um acht,
eine Sitzung einberufen. Aus Wien werden auch welche dabei sein, als ob wir die
brauchen würden.«
Pestallozzi
nickte. Im Zentrum des Hurrikans ist es ganz still, das hatte er in einer Reportage
über Meteorologie einmal gehört, und der Gedanke hatte ihn tief fasziniert. Und
so war es auch heute gewesen, er war vor einer Bank gestanden, um die nur Fliegen
surrten, er war in einer stillen Bauernhausstube und einem fast geisterhaft stillen
Anwesen gesessen, aber rundherum brodelte es, er konnte die Stimmen hören, die näherkamen.
Ab morgen würde er der Getriebene sein, unter Druck gesetzt von den Erwartungen
seiner Vorgesetzten, der Presse, der Familie, die Aufklärung ersehnte oder vielleicht
ja auch fürchtete. Er musste fast lachen, wenn er in diesem Augenblick an die smarten
Detectives aus Miami dachte, die sich die Sonnenbrille zurechtrückten.
»Was ist?«,
fragte Leo.
Pestallozzi
schüttelte nur den Kopf. Leo würde gut nach Miami passen, dachte er. Mit seinem
Waschbrettbauch, mit dem man ihn im Präsidium aufzog, seitdem eine Praktikantin
ihn einmal beim Baden an der Salzach überrascht hatte. Die junge Frau war offenbar
schwer beeindruckt gewesen und hatte eine detaillierte Beschreibung von Leos nacktem
Oberkörper an alle Kolleginnen weitergeflüstert. Das hatte Leos Ruf als schönster
Mann der Salzburger Mordkommission entscheidend gefestigt. Pestallozzi musste schon
wieder grinsen.
»Was ist,
Chef, jetzt sag schon. Lass mich auch mitlachen.«
»Nichts,
gar nichts. Schau lieber nach vorne, da setzt so ein Idiot offenbar zum Überholen
an.«
Leo fluchte
und steuerte den Wagen scharf nach rechts, dann war die Situation auch schon vorbei,
um Haaresbreite.
»Hast du
noch etwas entdeckt, oben bei der Bank? Ich habe dich das noch gar nicht fragen
können.«
»Einen Hirschfänger
in einem Abfallkorb gleich neben der Bank«, sagte Leo.
Pestallozzi
drehte sich nach links und starrte seinen Kollegen an.
Leo grinste
wie ein Spitzbub. »Das war ein Scherz. Entschuldigung.«
Jetzt mussten
sie beide grinsen, es tat ihnen gut, es war, als ob sich ihre Gesichts- und Nackenmuskeln
zum ersten Mal an diesem Tag ein wenig entspannten. Dann wurde Leo wieder ernst.
»Die von
der Spurensicherung haben schon etwas gefunden, ich hätte es dir sowieso noch gesagt.
Eine Apfelspirale.«
»Eine was?«
»Na, du
weißt schon. So eine ganz lange Kette wie eine Spirale. So was bekommt man, wenn
man es richtig versteht, einen Apfel zu schälen. Die ist unter der Bank zwischen
Grasbüscheln gelegen. Die Kollegen haben sie etikettiert und mitgenommen.«
»Und, hat
man erkennen können, wie lange sie dort schon gelegen ist?«
»Nicht lange,
glaube ich. Die Lisa hat das auch gesagt. Die Schale hat sogar noch leicht säuerlich
gerochen, nur an den Kanten war sie schon bräunlich.«
Pestallozzi
wurde richtig wütend, das kam bei ihm nur ganz selten vor. »Leo, das hättest du
mir sagen müssen! Mann! Zumindestens hätten wir den Rittlinger fragen können, ob
der Gleinegg die Angewohnheit gehabt hat, auf der Bank einen Apfel zu essen! Das
ist doch wichtig, verdammt!«
Aus Leos
Waschbrettbauch schien alle Luft zu entweichen. »Tut mir echt leid, Chef, wirklich!
Ich weiß auch nicht, wie mir das passieren konnte! Aber der Tag war einfach so …
also ich kann nur sagen, dass es mir …«
»Schon gut«,
brummte Pestallozzi.
Dann schwiegen
sie bis Salzburg. Aber sie hingen beide dem gleichen Gedanken nach. Jemand hatte
auf der Bank gesessen und einen Apfel geschält. Mit einem Messer.
*
Lisa Kleinschmidt beendete das Gespräch
und steckte ihr Handy wieder in die Handtasche. Ihre Nachbarin würde länger bei
den Kindern bleiben, was für eine Erleichterung! Dieses Entgegenkommen hatte allerdings
bestimmt auch mit dem sensationellen Fall zu tun, der bereits in allen Nachrichtensendungen
die erste Meldung war.
»Werden
Sie wirklich den Gleinegg auf…, ich meine, na ja, Sie wissen schon!«
Dann hatte
Frau Reber taktvoll geschwiegen, höchstwahrscheinlich war der Max im Türrahmen aufgetaucht,
um mit seinen Lausbubenohren zu lauschen. Lisa Kleinschmidt lächelte, als sie an
ihren kleinen Sohn dachte. Und an Miriam, die Große, die jetzt bestimmt auf
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