Blutiger Klee: Roman (German Edition)
genug.
Leo joggte sicher gerade am Salzachufer entlang, aber Pestallozzi fand Joggen einfach
unwürdig, auch wenn er sich eher die Zungenspitze abgebissen hätte, als Leo mit
dieser Ansicht zu kränken. Am lächerlichsten fand er die Jogger, die entlang der
großen Hauptverkehrsstraßen daherkeuchten, mitten zwischen den Abgasen, ein schickes
schweißgetränktes Stirnband um den Kopf, Kohlenstoffpartikel in den Lungenflügeln.
Vor der
Haustür blieb er kurz stehen und schnupperte die Luft, die schon nach Herbst roch.
Nach Laub und Erde und dem Rauch der Blätter, die in den Schrebergärten verbrannt
wurden, auch wenn das verboten war. Er begann Richtung Stadtzentrum zu schlendern,
bis zum Domplatz waren es nur knapp 20 Minuten. Je enger die Gassen wurden, desto
größer wurde auch das Gedränge. Pestallozzi liebte es, durch die Stadt zu spazieren
und den Stimmen der Touristen zu lauschen. Das Sprachengewirr verhalf ihm dann immer
zu einer kurzen Illusion von Urlaubsatmosphäre. Er bahnte sich seinen Weg wie all
die anderen Besucher auch, dabei war er fast immer gerade auf der Suche nach einem
Mörder. Aber die Menschen um ihn herum waren voller unschuldigem Entzücken, sie
hielten ihre Fotohandys und Kameras in die Höhe und lachten und gestikulierten und
posierten. Es war für ihn wie ein Hauch von Normalität, den er so lange wie möglich
zu konservieren versuchte.
Auf dem
Universitätsplatz war am Samstagvormittag Bauernmarkt, schon nach dem Café Tomaselli
erreichten die ersten Duftschwaden seine Nase. Er liebte den Geruch nach Speck und
Käse und Most, der wie eine Glocke über den Ständen hing. Heute erschien ihm der
ganze Platz mit Kürbissen übersät, zu Pyramiden gehäuft lagen sie da, faustkleine,
kindskopfgroße, gelbe und knallorange. Vor Jahren hatte er einmal eine Kürbissuppe
gegessen, bei seiner Schwiegermutter, die erstaunlich wohlschmeckend gewesen war.
Es war einer der seltenen Augenblicke gewesen, da ihm seine Schwiegermutter ein
Lächeln geschenkt hatte – als er um einen zweiten Teller Kürbissuppe gebeten hatte.
Bloß, wie wurde aus so einem steinhart aussehenden Ding eine Suppe? Vermutlich kochte
man die Kürbiskugel so lange mit Wasser, bis sich eine Suppe ergab, eine andere
Möglichkeit sah er nicht.
»Na, junger
Herr? Wie wär’s mit einem Hokaido? So günstig bekommen Sie den sonst nirgends!«
Ertappt
lächelte Pestallozzi der resoluten Marktfrau zu, dann machte er sich eilig aus dem
Staub. Hokaido, was war das nun wieder? Er hätte so gerne einmal ordentlich eingekauft
und dann zu Hause eine deftige Mahlzeit gezaubert. Aber die Geheimsprache der Köche
würde er nie enträtseln! Einmal, ziemlich bald nach der Scheidung, hatte ihm seine
Schwester Moni ein Taschenbuch geschenkt, ›Die asiatische 5-Minuten-Küche für Singles‹.
Er hatte ratlos darin geblättert. Tofu, Sesam, Koriander, Zitronengras! Dann hatte
er sich eine Dose Weight-Watchers-Ravioli aufgewärmt, die offenbar noch von Iris
eingekauft worden war. Zum Glück hielten diese Dosen ja jahrelang.
Das Gedränge
wurde immer dichter, eine Hausfrau im Dirndl rammte ihm ihren Einkaufskorb in die
Nierengegend. Am Würstelstand stand bereits eine lange Warteschlange, Pestallozzi
stellte sich geduldig an ihr Ende. Vor ihm schäkerte ein Paar, das nicht mehr jung
war, aber sich offenkundig erst vor Kurzem kennengelernt hatte. Sie flüsterten sich
ständig gegenseitig etwas ins Ohr, die Frau schmiegte sich an den Mann. Pestallozzi
sah in die andere Richtung. Und schon wieder fiel ihm die Moni ein, seine kleine
Schwester, die er heiß und innig liebte – obwohl er insgeheim unendlich froh war,
dass sie nach Rosenheim geheiratet hatte. Artur, du darfst nicht immer Trübsal blasen
und alleine zu Hause herumhocken! So wird das nie etwas mit einer neuen Beziehung!
Und falls du wirklich noch immer so schüchtern bist wie früher, dann geh doch ins
Internet! Heutzutage werden praktisch fast alle Beziehungen übers Internet angebahnt,
klick dich doch einmal auf einer von diesen Websites ein! Es gibt so viele nette
Frauen, die einen Partner suchen!
An dieser
Stelle war die Moni kurz verstummt, er hatte richtig hören können, wie sich die
Rädchen in ihrem Hinterkopf ineinander verzahnten. Dann hatte ihre Stimme noch schwungvoller
durch den Äther geschallt, offenbar hatte sie gerade eine sensationelle Idee geboren.
»Artur, weißt du was, du kommst uns demnächst einmal besuchen! Die Veronika nämlich,
das ist so eine liebe Freundin
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