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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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deutlich anzumerken.
    »Ich bin
keine Schnüfflerin, Herr Inspektor!«
    »Natürlich
nicht, so war das auch ganz bestimmt nicht gemeint, Frau Brandauer. Aber es wäre
wirklich sehr wichtig für uns. Vielleicht haben Sie ja etwas gesehen oder gehört
und deshalb beim Fenster hinausgeschaut. Irgendwann vor elf.«
    Sie nickte
langsam und zögerlich. »Oh ja, einmal hat ein Moped so laut geknattert. Dann ist
es stehen geblieben, und jemand ist kurz zur Tür vom Wachzimmer gelaufen. Mehr habe
ich nicht gesehen, weil das Fenster nicht offen war, und ich mich ja hätte über
das Fensterbrett lehnen müssen. Dann ist der Mann wieder zum Moped, das heißt, es
war eigentlich mehr ein junger Bursch, ganz bestimmt sogar, und dann ist er davongefahren.
Das ist alles, was ich weiß.«
    »Können
Sie den jungen Mann beschreiben? Haben Sie sein Gesicht gesehen?«
    Sie schüttelte
entschieden den Kopf. »Ich habe ihn ja nur von oben und von hinten gesehen. Außerdem
hat er so eine Kapuzenjacke getragen, wie das die jungen Leute jetzt alle tun. Irgendwie
schauen die so unheimlich damit aus.«
    »Und das
Moped, könnten Sie das näher beschreiben? War irgendetwas auffällig daran?«
    Sie zögerte.
»Es ist mir irgendwie bekannt vorgekommen. Der Lenker war so …« Sie suchte nach
Worten. »Der Lenker war so anders. Höher als sonst.«
    Sie schwiegen
alle drei, der billige Teppichflor schien unter ihren Füßen wie elektrisch aufgeladen
zu knistern. Leo versuchte sich vorzustellen, in so einem möblierten Einzimmerappartement
nach einer Scheidung allein seine Abende und Wochenenden zu verbringen. Oder nein,
er versuchte es lieber nicht.
    »Frau Brandauer«,
sagte der Chef. »Sie werden nach Kufstein zurückgehen, und dort wird es besser sein,
glauben Sie mir. Sie haben bestimmt die richtige Entscheidung getroffen. Aber vorher
sollten Sie mir wirklich alles sagen, was Sie wissen oder gesehen haben oder sich
möglicherweise auch nur denken. Dann wird es leichter für Sie sein, mit allem hier
abzuschließen. Sonst werden Sie sich noch lange mit Grübeln und mit Erinnerungen
herumplagen, glauben Sie mir.«
    Sie zupfte
wieder an ihren Haaren. Leo stellte sich vor, wie die Brandauer zwei Jahre lang
durch den Ort gegangen war, eine Zugezogene aus Kufstein hinterm deutschen Eck,
die niemand brauchte und die niemandem abgehen würde, wenn sie jetzt endlich verschwand.
Aber der Chef nahm sie ernst und hörte ihr zu und gab ihr Ratschläge, etwas, das
sie wohl schon früher gebraucht hätte.
    »Doch, ich
denke mir was«, sagte sie langsam, aber mit fester Stimme. »Das Moped mit dem Lenker,
also das habe ich schon ein paarmal gesehen. Es steht immer am Parkplatz vom ›Kaiserpark‹.
Aber nicht am Gästeparkplatz, sondern auf dem fürs Personal hinter dem Haus. Beschwören
würde ich das nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher.«
    Vor dem
Haus wurde ein Motor angelassen, dann entfernte sich der Wagen durch die Allee.
Wahrscheinlich der Gmoser auf einer Inspektionsrunde, um die Graffitisprayer in
Schach zu halten.
    »Frau Brandauer,
Sie haben uns wirklich sehr geholfen!«, sagte der Chef. »Vielen Dank!« Er sah sich
im Zimmer um. »Werden Sie zurechtkommen? Brauchen Sie Hilfe?«
    Sie lächelte,
endlich entspannt. »Am Wochenende kommen mein Schwager und meine Schwester, die
helfen mir beim Übersiedeln.«
    »Dann wünsche
ich Ihnen alles Gute. Könnten Sie meinem Kollegen noch Ihre neue Adresse sagen,
damit wir Sie eventuell noch erreichen können?«
    Sie sah
einen Moment lang erschrocken drein, wie alle Zeugen in dieser Situation. Wenn ihnen
aufging, welches Gewicht ihren Sätzen plötzlich zugemessen wurde. Aber dann nannte
sie eine Adresse mit Tiroler Postleitzahl, die Leo notierte. Anschließend verabschiedeten
sie sich, der Chef bedankte sich nochmals für ihre Mithilfe. Fürs Bedanken fand
der Chef immer Zeit. Dann stiegen sie wieder über die düstere Treppe nach unten
und gingen ums Eck zum Wagen. Krinzinger stand im Türrahmen.
    »Nette Frau«,
sagte Pestallozzi freundlich im Vorübergehen. Krinzinger blieb der Mund offen.
    Fünf Minuten
später parkten sie vor dem ›Kaiserpark‹. Es war schon drei Uhr vorbei und außerdem
bereits zu kühl, um noch auf der Terrasse zu sitzen. Die Tische waren zwar einladend
gedeckt, aber die Gäste zogen es mittlerweile vor, von der verglasten Veranda aus
den Blick auf den See zu genießen. Leo dachte sehnsüchtig einen Moment lang an Kaffee
und Apfelstrudel, aber dann verdrängte er dieses Bild tapfer.

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