Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
»Wer weiß? Ich spüre, dass dein Herz ihm gehört. Und das, obwohl er ein Bulle ist.«
»Woher weißt du das?«
Er hob die Schultern. »Ich habe seine Visage gesehen. Im Bericht über diesen Cannstatter Club.«
Gianluca zog sie den Steilhang hinauf, half ihr unter Brombeerzweigen hindurch und über umgefallene Bäume hinweg. Trotzdem spürte sie, wie hart die Hand war, die sie hielt. Sie würde sie niemals loslassen. Ein Schatten legte sich über ihr Herz, als sie an Fabian dachte. Unsinn , dachte sie entschlossen. Gianluca hatte nur Spaß gemacht mit dem Gerede über die Rivalen.
Als sie den Hauptweg erreichten, waren sie fast auf der Kuppe des Hügels angekommen. Die Burg löste nicht ein, was ihr Anblick von unten versprach. Statt einer mittelalterlichen Ruine erwartete den Wanderer ein Waldheim des Schwäbischen Albvereins mit einem Aussichtsturm. Im Hof befanden sich Bänke und Tische, an denen man rasten konnte. Am Wochenende war es hier proppenvoll. Jetzt saß hier nur ein weiteres Pärchen und teilte sich eine Flasche Limo mit zwei Trinkhalmen.
»Wollen wir nach oben gehen?«, schlug Leonie vor. »Der Ausblick ist phantastisch.« Er nickte und hielt weiter ihre Hand. Auch beim Aufstieg bestimmte er das Tempo. Seine Kondition war so viel besser als ihre, dass Leonie auf der obersten Plattform keuchend nach Luft schnappte. Trotzdem hatte es sich gelohnt. Durch die Westwetterlage war die Sicht aufgerissen und besonders klar. Scharf wie Scherenschnitte dehnten sich Felder und grüne Hügel bis zum Horizont.
»Du kannst von hier aus bis fast nach Stuttgart sehen«, sagte sie und deutete auf die offene Ebene. In der anderen Richtung verloren sich die Hügel in dunkelgrüner Waldeinsamkeit. Sie standen auf dem Scheitelpunkt.
Aber Gianluca ließ sich nicht ablenken. »Er hat es mit der Mafia zu tun gekriegt, der Herr Fabian Grundmann.« Er verschränkte die Arme unter der Brust. »Warum hast du mich eigentlich über Schutzgelderpressung ausgefragt?« Er stellte die Frage eher beiläufig und untersuchte dabei interessiert eines der Fernrohre an der Brüstung. Trotzdem war Leonie auf der Hut. Siedend heiß fiel ihr das Foto ein, das sie auf Lauras Regal gesehen hatte. Als ein Windstoß nach ihr griff, zog sie ihre Strickjacke fester um die Schultern. »Ich recherchiere über das Thema«, sagte sie leise und steckte ihre Haare fest, die der Wind wie eine Fahne flattern ließ.
»Du tust was?« Er klang fassungslos.
Leonie nahm sich zusammen. »Ich habe seit einer Woche einen Job beim Schwabenspiegel. Die nächste Ausgabe befasst sich mit dem Thema.«
»Mit dem Thema …«, echote er und trat an die Absperrung heran. Unter ihm ging es geradewegs in den Abgrund. »Wie heißt die Chefredakteurin doch gleich? Sie ist im ganzen Raum Stuttgart bekannt.«
»Sabine Marian.«
»Richtig. Und du kennst einen Bullen, der ein Mafiaetablissement auffliegen lässt.«
»Er ist da nur durch Zufall hineingeraten.«
»Ich glaube nicht an Zufälle. Jedenfalls nicht, wenn sie so geballt auftreten.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Spionierst du für diese Marian hinter mir her oder für deinen alten Kumpel Fabian Grundmann? Oder vielleicht für beide?«
Wie konnte er das von ihr denken? Entrüstet stemmte sie die Hände in die Hüften. »Ich spioniere nicht hinter dir her. Warum auch? Du hast ja noch nicht einmal Probleme mit Schutzgeld.«
»Nein, die habe ich nicht.« Er lachte leise und wurde im nächsten Moment wieder ernst. »Aber ich kann nicht verstehen, dass du mit bloßen Händen in ein Wespennest greifst. So naiv bist nicht einmal du.«
Leonie spürte widerwillig, dass ihr Gesicht aufglühte. Sie öffnete den Mund, aber die erklärenden Worte steckten irgendwo in ihrem Hals fest. Warum musste sie sich überhaupt vor Gianluca rechtfertigen? Sie recherchierte doch bloß, um Sabine Marian bei ihrer Reportage zu helfen.
Von der Treppe her waren Stimmen zu hören. Gianluca trat an Leonie heran und zog sie eng an sich. Seine Hände und die Hitze, die von ihm ausging, schnürten ihr die Luft ab. Die Stimmen wurden lauter. Das Pärchen, das unten gerastet hatte, trat auf die Plattform hinaus, entfernte sich aber zur anderen Seite, wo der junge Mann eines der Fernrohre mit Münzen fütterte. Und da waren plötzlich die Worte, die Leonie eben nicht eingefallen waren.
»Ich habe gestern einer Frau das Leben gerettet und dich dabei auf einem Foto gesehen. Mit Alessio Cortese. Erst habe ich dich nicht erkannt, aber
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