Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Schicht in aller Ruhe mit seinem Zeigefinger ab.
»Wir zwei kommen von der Polizei. Das ist mein Kollege Grundmann, und ich heiße Keller.«
»Athanassios«, sagte der Junge misstrauisch.
»Kennst du eigentlich Alessio aus diesem Haus?« Keller deutete auf den Block hinter sich, wo sich im ersten Stock gerade die Gardine bewegt hatte.
Das Gesicht des Jungen versteinerte in dem Moment, als der Name Alessio fiel. Und nicht nur das. Alle Farbe wich aus seinen Wangen, und seine Nase wurde ganz spitz. Von einer Sekunde zur anderen sah er aus wie ein kleiner Greis.
»Alessio ist tot«, sagte er.
20.
Damiano. Leonie wusste nicht, ob sie den Namen gedacht oder geflüstert hatte. Er saß neben dem Institutsleiter und seiner Stellvertreterin an dem großen runden Tisch, der im Institut für Meetings benutzt wurde, und erhob sich, um sie mit der gebotenen Höflichkeit zu begrüßen. Reiß dich zusammen! , dachte Leonie. Seine Augen blitzten kurz auf, als er sie ansah. Die Professorin entfernte sich und füllte vier schlichte Porzellantassen mit Kaffee. »Möchten Sie Milch und Zucker, Frau Hausmann?«, fragte sie freundlich.
»Milch und einen Löffel Zucker, bitte«, sagte Leonie gepresst.
Egal ob mit oder ohne Zucker in ihrem Kaffee, durch Damianos Gegenwart war das Vorstellungsgespräch am Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart sowieso gelaufen. Denn welche Frau rechnet schon damit, bei einem solchen Termin unverhofft ihrem Exlover zu begegnen, der noch dazu der bisher geheimgehaltene Vater ihres Sohnes ist. Ein Blick aus dem Augenwinkel zeigte ihr, dass seine ehemals schwarzen Locken in den letzten anderthalb Jahren grau geworden waren. Aber sonst sah er noch genauso aus wie der Mann, in den sie sich vor zwei Jahren bis über beide Ohren verliebt hatte.
Leonie schluckte und setzte sich ihren Gesprächspartnern gegenüber. Die Räume des Instituts lagen hoch oben im K 2, dem Hochhaus in der Keplerstraße, das die geisteswissenschaftlichen Hörsäle der Stuttgarter Uni beherbergte. In diesem Moment wünschte sie sich, ein Vogel zu sein und davonfliegen zu können, mitten in den blauen Himmel hinein, über den weiße Schäfchenwolken schwebten. Aber hier wurde nicht geflohen und sich schon gar nicht in Luft aufgelöst.
Und dabei hatte alles so gut angefangen. In ihrem grauen Hosenanzug und mit frisch geföhnten Haaren hatte sie beim Probestyling gestern Abend eine so gute Figur gemacht, dass sogar Sybille zufrieden gewesen war und ihr als Krönung ihres Outfits ihre sündhaft teuren, hohen Sandaletten geliehen hatte. Als zeitweilige Römerin konnte sich Leonie, was Eleganz anging, durchaus mit ihrer älteren Schwester messen, eine Fähigkeit, die sie, wie so vieles andere, ebenfalls Damiano zu verdanken hatte. Als Leander endlich eingeschlafen war, hatte sie die halbe Nacht damit verbracht, ihre Publikationen zu sortieren und durchzusehen, darunter ihre begonnene Doktorarbeit über Caravaggios Einfluss auf die Künstler seiner Zeit. Sicher würde ihre Forschung für das Projekt über italienische Kunst, bei dem sie an der Uni Stuttgart mitarbeiten sollte, brauchbar sein. Auch Seminare für Erstsemester konnte sie locker geben. Und so hatte sie sich voll Optimismus nach Stuttgart aufgemacht.
Doch dann kam das Desaster mit Namen Damiano. Nervös rührte Leonie in ihrer Kaffeetasse.
»Frau Hausmann.« Der Institutsleiter, der gerade ausschweifend über sein Institut, den neuen Bachelorstudiengang und sein Projekt referiert hatte, wandte sich ihr zu.
»Ja.« Leonie riss sich zusammen und wich Damianos Augen aus, die sich wie Saugnäpfe an ihr Gesicht hefteten. Wenn sie ihn nicht ausblendete, würde sie kein Wort herausbringen.
»Professor Di Luca, der freundlicherweise ein Gastsemester an der Stuttgarter Uni verbringt, hat uns berichtet, dass sie bereits in Rom zusammengearbeitet haben.«
»Er hat meine Promotion betreut«, sagte sie leise. »Während meines Stipendiums an der Bibliotheca Hertziana habe ich unter anderem Architekturzeichnungen des Barock archiviert. Für meine Doktorarbeit über Caravaggio und seine Rezeption durch die Künstler seiner Zeit hat mich Professor Di Luca von der Uni in Rom beraten. Und daraus hat sich eine Zusammenarbeit entwickelt.«
Und nicht nur das. Diesmal konnte sie dem Blick seiner brombeerschwarzen Augen nicht entgehen, die denen Leanders so ähnlich sahen. Warum nur hatte er sein Aussehen eins zu eins an seinen Sohn vererben müssen? Leonie trank einen
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