Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
erklärt, mit jenem lebendigen Interesse und jener Begeisterung, die sich nicht jeder Lehrende über Jahrzehnte hinweg bewahren konnte. An diesem Abend hatte sie ihre Zimmertür in dem luxuriösen Hotel, das er gebucht hatte, unverschlossen gelassen. Auch im Bett war Damiano ein guter Lehrmeister, und Leonie, die ihre erotischen Erfahrungen vorher allein mit Jonas geteilt hatte, profitierte ebenfalls davon. Damiano schien ihre Unverbrauchtheit zu schätzen und machte sie in den nächsten Monaten ganz zu seinem Geschöpf. Immer, wenn sie Zeit hatte, recherchierte sie an der Uni für sein Forschungsvorhaben und vernachlässigte ihr eigenes. Am Wochenende fuhr sie mit ihm aufs Land oder ans Meer.
Eines Tages jedoch sprach sie die Professorin an der Bibliotheca Hertziana, der sie bei der Archivierung einer Sammlung barocker Architekturzeichnungen assistierte, auf ihr verändertes Verhalten an. Sie solle sich ihr Leben nicht zerstören lassen, sagte sie, nicht von einem Schürzenjäger wie Damiano di Luca. Doch Leonie ließ sich nichts vorschreiben, dafür liebte sie Damiano zu sehr. Und genauso sicher war sie sich, dass sie zurückgeliebt wurde. Wie oft hatte er ihr gesagt, dass seine Ehe vor dem Aus stünde, und dass seine Frau Camilla mit den beiden halbwüchsigen Mädchen bald in ein eigenes Haus ziehen würde. Leonie hatte das für bare Münze genommen, die Pille abgesetzt und war quasi sofort schwanger geworden.
Eines Tages, sie hatte gerade ihr Frühstück ins Klo gespuckt, klingelte es an der Tür ihrer Bude in Trastevere. Vor der Tür stand eine elegante Römerin mittleren Alters, die sie kühl musterte.
»Ich bin Camilla di Luca«, sagte sie, und Leonie hätte sich fast noch einmal übergeben, so brachte sie der Besuch aus dem Konzept. Noch heute bekam sie Sodbrennen, wenn sie daran dachte. Camilla, die sich in Leonies chaotischer Einzimmerwohnung zuerst die eleganten rehfarbenen Lederhandschuhe von den Händen gestreift hatte, öffnete ihr die Augen über ihren Mann.
»Glauben Sie ja nicht«, sagte sie ohne Umschweife, »dass Sie die Einzige sind, Kindchen. Damiano hat schon seit Beginn unserer Ehe nebenbei Beziehungen, er braucht die Bestätigung durch die Ragazze .« Das letzte Wort sprach sie mit einer Verachtung in der Stimme aus, die alles zum Ausdruck brachte, was bisher unter Verschluss gewesen war.
Leonie brachte keinen Ton heraus. Das war genau die Situation, vor der sie sich immer gefürchtet hatte, sie selbst in der Rolle der Geliebten, die sich mit der betrogenen Ehefrau konfrontiert sah. Warum nur musste sie diesen Albtraum erleben? Es war so unglaublich demütigend, und sie war auch noch schwanger und spürte instinktiv, dass Camilla die Wahrheit sagte.
»Ecco.« Die kühle Schönheit mit den blonden Strähnen in den Haaren legte einen Stapel von E-Mailausdrucken auf ihren Schreibtisch und musterte sie vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. »Ich muss zugeben, dass er bei Ihnen gar keinen so schlechten Geschmack bewiesen hat, Kindchen.«
Camilla drehte sich um und ging zum Fenster, von dem aus man den Tiber sehen konnte. Das Zimmer, das einem Studienfreund von Leonies Vaters gehörte, war ein Glücksfall gewesen. Zentral gelegen und zu einem Freundschaftspreis zu haben. Damianos Frau trug eine helle Lederjacke über einem Wickelkleid, das irgendwie chinesisch aussah, dazu High Heels, und war viel attraktiver, als Leonie sie sich vorgestellt hatte. Und sie war nicht die neidische Hexe, als die Damiano sie immer geschildert hatte.
»Er hat es lange mit Ihnen ausgehalten. Fast hatte ich gedacht, er würde sesshaft werden, weil ich mich über Monate nur mit einer einzigen Nebenbuhlerin abgeben musste. Glauben Sie mir, da kenne ich andere Zeiten, in denen er drei oder vier Mädchen gleichzeitig laufen hatte. Aber das, was ich hier auf seinem PC gefunden habe, hat mich eines Besseren belehrt.«
Einen Moment lang sah Leonie Camilla als Selbstmordattentäterin mit Bombengürtel, denn der Papierstapel auf ihrem Schreibtisch, das begriff sie in diesem Moment, würde ihr Leben sprengen, unweigerlich und jetzt sofort. Ich will nicht, dachte sie. Und trotzdem nahm sie das oberste Blatt und begann zu lesen. Liebesgeflüster, Komplimente und eindeutige Details, die ihr prompt das Blut in die Wangen schießen ließen. Solche Mails hatte er zu Anfang auch mit ihr ausgetauscht, als Teil eines erotischen Vorspiels am Computer, doch jetzt fand Leonie seinen Schreibstil nur noch schwülstig und
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