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Blutiger Sand

Blutiger Sand

Titel: Blutiger Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kneifl
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Vortrag: „Es gibt rund 2,5 Millionen nordamerikanische Indianer, inklusive der Inuit in Alaska, und 1,6 Millionen Halbindianer. In den USA leben die meisten Indianer in Reservaten. Das größte Reservat ist das der Navajo. Zwei Drittel der Navajo, also etwa 260.000 Menschen, hausen dort. Ein Drittel übrigens ohne fließendes Wasser. Dabei sind die Navajo diejenigen, die am besten organisiert sind. Sie haben sogar eine Energy Power Station in der Nähe des Lake Powell. Eine eigene Energieversorgung ist wahnsinnig wichtig, wie ihr euch denken könnt. Diese Reservate sind eigentlich souveräne Staaten. Sie haben Selbstverwaltungsstatus und werden von einem Stammesrat, dem ein Sprecher vorsitzt, regiert. Die Navajo waren immer eine demokratische Gesellschaft. Die Häuptlinge wurden nicht, wie bei vielen anderen Stämmen, durch das Erbrecht bestimmt, sondern gewählt. Auch die Mitglieder des Rates werden in den Wahlbezirken von den dort lebenden Menschen direkt gewählt.“
    „So wie bei uns“, unterbricht Orlando ihn.
    „Sei still, lass ihn ausreden“, fauche ich ihn an.
    „Die Navajo bezeichnen sich in ihrer Sprache als ‚Diné‘, was soviel wie ‚die Menschen‘ bedeutet. Seit 1924 haben alle nordamerikanischen Indianer die US -Staatsbürgerschaft. Mittlerweile haben wir endlich auch eine Identity-Card, die uns als Native American den Pass ersetzt. Es gibt einige wenige Vergünstigungen für uns, was die Steuern betrifft. Indianer zahlen zum Beispiel keine Steuern, wenn sie ihr Geld im Reservat verdienen. Aber dort kann man kein Geld verdienen, außer in einem Casino. Seit 1988 dürfen wir Casinos unter speziellen Bedingungen betreiben. Heute bieten fast vierhundert indianische Casinos vierhunderttausend Jobs für Stammesgenossen. Sie machen mehr Gewinne als alle Casinos in Nevada zusammen.“
    „Wow“, wirft Orlando ein.
    „Der Schein trügt. In allen Reservaten gibt es große Probleme. Und das größte Problem ist die Anomie.“
    „Was heißt das?“, fragt Orlando.
    „Keine Normen, keine Regeln …“
    „Das klingt ja fast wie Anarchie.“ Ich fühle mich nach dem zweiten Glas Wein wieder leicht betrunken. Ist amerikanischer Wein stärker als europäischer oder ist es die Hitze?
    Simon lächelt mich milde an.
    „Nein, das ist nicht dasselbe. Hand in Hand mit Anomie gehen eine steigende Selbstmord- und Scheidungsrate, Jugendkriminalität, Bindungslosigkeit, mangelnde gesellschaftliche Integration … Dazu kommen enorme gesundheitliche Probleme. Die meisten Indianer sind viel zu dick. Bereits die Kinder leiden unter Übergewicht. Außerdem erkranken meine Leute an allen möglichen Zivilisationskrankheiten. Die meisten sterben sehr jung. Die indigene Bevölkerung Amerikas wird heutzutage nicht mehr von euch Gringos, sondern durch Diabetes, Alkoholismus und Adipositas ausgerottet.“
    Simon sagt das alles sehr ruhig und mit unbeweglicher Miene.
    Orlando hat sich auf eines der Sofas gelegt und scheint eingeschlafen zu sein.
    „Gibt es irgendwelche Verhaltensregeln, die wir beachten sollten, wenn wir mit den Leuten in den Reservaten reden?“, frage ich.
    „Nein, die Indianer sind an das merkwürdige Benehmen der Weißen mittlerweile gewöhnt.“ Simon grinst mich spöttisch an. „Ihr dürft euch nicht wundern, wenn euch eure Gesprächspartner nicht in die Augen sehen. Die Navajo zum Beispiel vermeiden Augenkontakt mit ihren Gesprächspartnern. Es gilt als unhöflich, sein Gegenüber anzustarren. Sie hören trotzdem aufmerksam zu.“
    „Das finde ich ja interessant.“ Orlando wirkt plötzlich wieder ganz munter und strahlt Simon an.
    „Außerdem empfinden sie es als unhöflich, viel und laut zu reden oder Fremden gegenüber allzu offen zu sein. Körperkontakt bleibt engen Freunden und Verwandten vorbehalten. Man küsst und drückt keine oberflächlich Bekannten. Leichtes Händeschütteln ist aber durchaus üblich.“
    „Sehr sympathisch!“ Obwohl ich leicht beschwipst bin, frage ich: „Und wie sieht es mit Alkohol aus? Ich habe gehört, dass der Besitz und Konsum von Alkohol in den Reservaten verboten ist.“
    „Ja. Leider hält sich keiner dran. Cheers!“ Auch Simon ist nicht mehr ganz nüchtern.
    Dieses Mal schlage ich vor, ins Bett zu gehen.
    Simon meint, sein Bett wäre viel bequemer als die Couch, und zwinkert mir zu.
    „Ich schlafe besser allein, außerdem schnarche ich“, sage ich lachend und lege mich auf das zweite Sofa im Wohnzimmer.
    Orlando kuschelt sich in eine weiche Decke mit

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