Blutiger Spessart
Kleidungsstücke an. Die Schutzweste trug er unter einem schwarzen Rollkragenpullover. Das Messer schnallte er sich mit dem Griff nach unten an die Wade, und das Holster mit dem Revolver befestigte er an seinem Gürtel. Es folgte eine kleine leistungsfähige Halogentaschenlampe. In die Beintaschen steckte er enge Lederhandschuhe, ein Bündel Kabelbinder und ein stabiles Klebeband. Eine Skimaske, die nur Schlitze für die Augen frei ließ, vervollständigte seine Ausrüstung.
Nachdem er noch einmal alles überprüft hatte, ging er in eines der hinteren Zimmer im Parterre, das zur Rückseite des Hauses hinausging. Kerner öffnete das Fenster und sprang mit einem elastischen Satz ins Freie. Die Fensterflügel zog er nur leicht zu, sodass er bei Bedarf schnell wieder ins Haus einsteigen konnte. Entschlossen marschierte er in Richtung Wald. Dabei nahm er, ohne es zu wissen, fast genau den gleichen Weg, den Schmitt bei seinem Besuch eingeschlagen hatte. Nachdem er den Zaun überwunden hatte, bewegte er sich in Richtung Süden. Da der Wald schon zu seinem Jagdrevier gehörte und er häufig hier joggte, kannte er sich bestens aus. Eine halbe Stunde später langte er beim Motorrad an. Wie erwartet fand er es so vor, wie er es verlassen hatte. Er zog den Helm über und startete den Motor. Das kraftvolle Grollen der Maschine brach sich als Echo zwischen den Bäumen. Fast geräuschlos kuppelte er ein und fuhr los. Erst auf der Dorfstraße gab er richtig Gas. Es war mittlerweile kurz vor dreiundzwanzig Uhr.
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Etwa zur gleichen Zeit zog eine zahlenmäßig starke Wildschweinrotte durch die Forstkultur im Wald auf der Suche nach Nahrung. Irgendwann brachen sie in die Dickung ein, in der Ricardos Grab lag. Die Leitbache war zunächst äußerst misstrauisch, denn die zwischen den Bäumen herumspringende nächtliche Brise trug ihr immer wieder eine gemischte Witterung zu. Einerseits verhieß sie ihr Nahrung, andererseits wehte sie ihr aber auch – schwach zwar, aber trotzdem noch erkennbar – den Geruch des zweibeinigen Erzfeindes zu. Seit Tagen hatte sich die Rotte in erster Linie von pflanzlicher Kost ernährt. Das nahe Maisfeld war mehrfach ihr Ziel gewesen. Die Maiskolben dort waren jetzt in der Milchreife. Für die Schwarzkittel wie Kaviar. Sie hatten mittlerweile schon auf einer Größe von der Fläche eines Tennisplatzes die Maisstängel umgebrochen und sich an den Kolben gütlich getan, aber als Allesfresser benötigten Wildschweine zwischendurch auch proteinhaltige Nahrung.
Diese decken sie in erster Linie durch das Ausgraben von Würmern, Engerlingen und Mausnestern. Sie verschmähen aber auch Aas nicht, wenn es zur Verfügung steht. Eine der Schwestern des Leittieres näherte sich vorsichtig dem anregenden Duft, den die Erde an einer bestimmten Stelle verströmte. Mit dem harten Nasenrücken drückte sie kraftvoll einen modernden Baumstamm zur Seite, dann begann sie, im weichen Erdreich zu wühlen. Ein lockender Laut verhieß Gefahrlosigkeit und holte die übrigen achtzehn Familienmitglieder der Rotte heran. Gemeinsam gruben sie den verwesenden Kadaver aus der Erde und begannen zu fressen. Immer wieder brachen Streitereien aus, die mit heftigem Blasen und Quieken bereinigt wurden.
Als sie genug hatten, war der Leichnam stark angefressen. Die Kleidung des Toten war zerrissen und weit verstreut. Sie hatten einen Arm abgerissen und ein Stück entfernt liegen lassen. Zwei gleichrangige Bachen hatten sich um ihn gestritten. Schließlich blieb er achtlos liegen.
Gesättigt zogen sie sich wieder tiefer in die Dickung zurück, legten sich eng zusammen und verschliefen den Rest der Nacht.
Eine ganze Weile, nachdem die Wildschweine verschwunden waren, kam ein Fuchs, vom Aasgeruch angelockt, herbeigeschnürt und fraß sich ebenfalls an dem unerwartet gedeckten Tisch voll. Für ihn war es immer noch reichlich. Als auch er nichts mehr in sich hineinschlingen konnte, packte er den Arm, den die Sauen abgerissen hatten, und schleppte ihn davon. Ein Stück weiter entfernt vergrub er ihn am Rand einer Rückegasse, die Forstarbeiter für den Transport von gefällten Baumstämmen quer durch den Wald geschlagen hatten. Fraßvorrat für einen der nächsten Tage. Jetzt war er erst einmal satt, zog sich in seinen Bau zurück und verdaute.
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Auf der MSP 11 war praktisch kein Verkehr, sodass Kerner seine Maschine ordentlich aufdrehen konnte. Dadurch legte er die rund zwanzig Kilometer zwischen Partenstein und Hofstetten in der Rekordzeit
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