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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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drohte Mogda. »Du bist dann gleich nach Londor dran, wenn er mich noch einmal ›Herr Oger‹ nennt.«
    Hagrim wandte den Blick nach oben, musste aber feststellen, dass dieser Ausblick seinem Magen nicht guttat. Er winkte ab und ließ sich wieder in das Netz fallen. Verständnislos zuckte Mogda mit den Achseln und sah zu Cindiel hinüber. Die junge Frau sah traurig zu dem Fleck, wo eben noch der Geschichtenerzähler gestanden hatte. Mogda spürte, dass sie dem Alten irgendetwas sagen wollte, aber nicht die richtigen Worte fand.
    Der Oger erhob sich von seiner Lagerstätte. Er hatte sich an den Aufenthalt auf dem Schiff gewöhnt, einzig die für ihn zu niedrige Reling macht ihm immer noch zu schaffen. Den Seeleuten gab die Balustrade Halt, wenn das Wetter rau wurde, für einen Oger hingegen war sie nicht mehr als eine Stolperfalle. Ständig wanderte sein Blick zu der entfernten Küste, und er versuchte abzuschätzen, ob seine Schwimmkünste reichen würden, um das Ufer zu erreichen, falls er ins Wasser stürzte.
    »Du machst dir Sorgen um ihn«, sagte Mogda und deutete nach vorn in das Klüvernetz.
    Cindiel sah erschrocken auf, als ob die Frage selbst sie ängstigte. »Nein, sein Schicksal hat er selbst bestimmt. Ich frage mich nur, ob er die richtige Wahl getroffen hat. Die Zeit, um sich Sorgen zu machen, ist bereits an uns vorbeigezogen.«
    »Ich weiß nicht, worum es geht, doch scheint er mir um einiges voraus zu sein, wenn er seinen Weg selbst bestimmen konnte. Außerdem sehe ich, dass er es mit seiner typisch gleichgültigen Art hinnimmt, wie immer. Was will man mehr?«
    »Er ist nicht gleichgültig. Er ist betrunken«, entgegnete Cindiel. »Das ist nicht dasselbe.«
    Mogda drehte sich um und warf einen Blick über den Bug. Hagrim lag da wie ein Insekt in einem Spinnennetz, hielt sich die Flasche an den Mund und nahm einen großen Schluck. »Er ist betrunken, aber nicht tot, und nur darauf kommt es an.«
    Die Antwort schien Cindiel wenig zu trösten. Sie zitterte am ganzen Körper, und Tränen liefen ihr über das Gesicht. »Ich habe alles falsch gemacht«, sagte sie. »Ich habe in Osberg einen Mann getötet, und anstatt mich der Anklage zu stellen, habe ich mich bei Nacht und Nebel davongeschlichen. Ich habe Finnegan verlassen, anstatt ihn um Hilfe zu bitten. Zu guter Letzt musste Hagrim sein Leben einem Dämonenweib verschreiben - nur weil ich Antworten haben wollte, die ich bereits kannte. Alles, was ich getan habe, sollte allein mein Handeln vor mir selbst rechtfertigen.« Und Cindiel erzählte Mogda, was in Osberg vorgefallen war, wie sie und Hagrim des Nachts aus der Stadt entkamen und was bei Bocco Talis geschehen war. Als sie sich alles von der Seele geredet hatte, wurden ihre Tränen zu regelrechten Sturzbächen.
    Mogda packte sie an der Hüfte und stellte sie vor sich auf die erhöhte Luke zum Laderaum. Wie sie da vor ihm stand, war sie immer noch einen Fuß kleiner als er, aber wenn er es richtig betrachtete, hatte er sie niemals zuvor so klein und hilflos gesehen, nicht einmal, als er sie als zwölfjähriges Mädchen kennen gelernt hatte, von Orks verschleppt und eingekerkert in einem Erdloch.
    »Ich habe auch getötet. Allein um meinen Hunger zu stillen. Ich habe mein ganzes Volk im Stich gelassen, und nun fordere ich von ihnen, mir in ein Land zu folgen, in dem die meisten von ihnen den Tod finden werden - und das alles nur, um mein Schicksal zu erfüllen. Ich habe meinem Volk und den anderen nur Leid und Gottlosigkeit gebracht«, erklärte er ihr. »Wie du siehst, scheinen die Schwere unserer Probleme und Verfehlungen abhängig zu sein vom Körpergewicht«, flachste er und konnte Cindiel damit tatsächlich ein Lächeln entlocken. Er hätte ihr am Liebsten mit seinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht gewischt, doch befürchtete er, ihr Aussehen mit den Essensresten der vergangenen Tage, die an seinem Hemd klebten, zu verunstalten.
    Cindiel sah ihn mit großen verweinten Augen an. »Wie kommt es, dass du jedes Mal, wenn wir uns wiedersehen, ein bisschen klüger und weiser geworden bist? Das Amulett um deinen Hals ist schon lange zerstört, und trotzdem scheinst du immer noch Kraft aus ihm zu ziehen.«
    »Ich lese viel«, sagte Mogda und zog ein altes zerfleddertes Buch aus seiner Hosentasche. »Ich habe es zwischen all dem Schutt und Abfall in Meister Trebors Turm gefunden, als ich Gnunt besucht habe. Es war das erste Buch, das ich gelesen habe. Mir gefiel das Bild so gut.« Er reichte Cindiel die

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