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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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kommen - und niemand mit klarem Verstand hätte auf so einer Fahrt angeheuert. Ingert konnte nicht den ganzen Tag und auch noch die ganze Nacht über im Ausguck hocken, genauso wenig wie Mo am Steuerrad und die anderen beim Raffen oder Hissen der Segel, beim Legen der Tampen und was sie sonst noch so rund um die Uhr durchhalten konnten. Londor hatte entschieden, dass nur die Arbeiten verrichtet wurden, die unbedingt nötig waren, um ein Schiff heil über das Meer zu bringen.
    Die Männer waren nicht begeistert. Sie hatten sich an ihre Arbeiten auf See gewöhnt und waren nur schwer an neue Aufgaben heranzubringen. Aber auch nur so schwer, wie es einem Kapitän fiel, Befehle an seine Mannschaft auszugeben. Mit Murren und leise geflüsterten Flüchen traten alle ihre neuen Posten an.
    Mordigwel am Steuerrad zu ersetzen fiel den Seeleuten leicht. Um den Kurs auf hoher See zu halten, ohne Ausweichmanöver und Richtungswechsel, brauchte es nur jemanden, der imstande war, auf seinen eigenen Beinen zu stehen und das Steuerrad festzuhalten. Bei Ingerts Aufgabe war das schon anders. Der dürre Mann wurde von den meisten seiner Kameraden sonst nur belächelt. Sie sahen ihn nicht als einen der ihren an, da er sich nicht an der regulären Arbeit auf Deck beteiligte. Die meiste Zeit saß er im Ausguck und träumte vor sich hin, wie sie sagten.
    Auf normalem Kurs ließ Kapitän Londor ihn zehn Stunden dort oben hocken, bei Nacht war der Ausguck unbesetzt. Die Küste Nelbors war bekanntes Gebiet. Die Seekarten zeigten, wo sich ein Riff befand, und die Fahrrinnen der Schiffe waren so zugeteilt, dass ein Zusammenstoß unmöglich war, wenn sich jeder an die Route hielt. Mit dem Setzen des Kurses auf die Nordlande hatte sich alles verändert. Bei der Hand voll von Schiffen, die das Nordmeer durchkreuzten, bestand eine Bedrohung weniger darin, mit ihnen zu kollidieren, viel höher war die Gefahr, von ihnen geentert oder versenkt zu werden.
    Schiffe, die auf das ewige Eis zusteuerten, trieben keinen Handel, und ihre Besatzungen hatten keine Familien, die es zu ernähren galt. Keiner dieser Männer besaß auch nur einen Funken von Ehre, und genauso ehrlos waren auch ihre Absichten. Was jedoch noch schwerer wog als Piraten, auf die man stoßen konnte, waren die Eisberge. Still und leise trieben sie durchs Wasser. Sie zeigten kaum mehr von sich als ein schwarzer Drache in der Dunkelheit, und selbst wenn man sie erspähte, reichte die Zeit oft nicht, um das Schiff auf einen anderen Kurs zu bringen. Hundertmal so schwer wie eine Bark, rammten sie ihre eisigen Dornen in den Rumpf eines jeden Schiffes und ließen es in wenigen Minuten sinken.
    Die Seeleute erzählten sich Geschichten von Schiffen, die in den Eisbergen eingefroren waren. Sie sagten, wenn man selbst mit seinem Schiff auf diese treibenden Kolosse stieß, konnte man die erfrorene Mannschaft in den Wanten oder auf Deck und den Kapitän hinter dem Steuerrad sehen. Die Segel seien prall gefüllt, wie im Sturm, und gefrorene Wellen schlugen über die Reling. Bevor man selbst in die Tiefe gezogen wurde, konnte man ihre Stimmen hören, wie sie flehten und weinten und darum baten, endlich sterben zu können.
    Auch die Oger hatten diese Geschichte gehört, als Tinnert sie eines Abends erzählte, und sie war nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen wie so viele andere Geschichten zuvor. Mogda wusste nicht, wieso, aber er glaubte, es lag daran, dass es eine der wenigen Geschichten war, die die Oger auch verstanden hatten. Auf jeden Fall war Tebolf aufgesprungen und an Deck gegangen. Alles, was er gesagte hatte, war: »Tebolf nicht gefrieren in Eis. Tebolf zerschmettern Insel aus Eis mit Keule.« Die anderen hatten zustimmend genickt. Dann waren ihm Bralba, Korf, Purgol und zwei weitere der Oger gefolgt.
    Drei Tage war das jetzt her, und es waren nicht mehr nur diese sechs, die sich inzwischen an Deck wagten. Abwechselnd gingen die Oger nach oben und hielten Ausschau nach Eisbergen. Dies war aber nicht alles, sie halfen der Mannschaft auch bei ihren täglichen Arbeiten auf dem Schiff.
    Mogda saß oben an Deck. Er hatte es sich in einem Haufen Tauwerk gemütlich gemacht, der vorn am Bug lag. Zusammen mit einigen anderen hatte er morgens damit begonnen, den vorderen Laderaum von innen zu verstärken. Kapitän Londor hatte ihnen gesagt - nein, er hatte versprochen -, dass, wenn sie nicht bis zum Abend mit den Arbeiten fertig waren, sie sich alle auf dem Grund des Meeres wiederfänden. Mogda kannte

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