Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Scheinbar ohne lange nach geeigneten Sitzgelegenheiten zu suchen, setzten sie sich. Weder blieben sie zusammen, wie man es von Fremden in der Gegenwart von Furcht einflößenden Ogern erwartet hätte, noch hockten sie sich ihren Gastgebern gegenüber, um diese im Auge behalten zu können. Nein, sie verteilten sich wie auf einem Schlachtfeld. Zwei von ihnen nahmen Platz zwischen Gnunt und Tastmar, und jeweils zwei weitere setzten sich an die äußeren Flanken der Oger.
Cindiel wollte den Fremden keine Gelegenheit geben, noch weitere verräterische Blicke auszutauschen, damit sie vielleicht sogar stillschweigend einen Angriff planen konnten. Diese Männer durfte man nicht grübeln lassen, man musste sie fordern - und wenn schon nicht mit der Klinge, dann wenigstens mit Fragen.
»Was hat euch in den roten Sumpf verschlagen?«, erkundigte sie sich neugierig.
Cindiel war schockiert, wie abgeklärt die Männer waren. Nur ein einziger schien überhaupt dazu bereit, ihre Frage zu beantworten, und selbst dieser nahm sich die Zeit, sie in Ruhe zu mustern. Er brach einen trockenen Ast ab und malte zusammenhanglose Linien in die nasse, rote Erde, dabei sah er ihr tief in die Augen. Alle anderen hatten den Blick gesenkt und belauerten die Oger zwischen ihnen.
»Wir sind auf Geheiß von Lord Oulagh unterwegs und erkunden das Land nördlich von Nelbor. Das Land hat sich verändert, und die Lords wünschen, darüber Bescheid zu wissen. Man könnte uns als Kartenzeichner sehen.«
»Kartografen«, berichtigte Cindiel ihn, in der Hoffnung, dass er seine alberne Behauptung überdachte. Albern war sie insofern, dass Cindiel keinen dieser Männer überhaupt imstande zu sein glaubte, lesen und schreiben zu können. Kartografen waren ausgebildete Gelehrte, die sich mit Land, Leuten, Flora und Fauna ausgezeichnet auskannten. Von diesen Männern vermutete sie, dass sie vielleicht gerade einmal den Namen einer Schenke stotternd abzulesen vermochten. Was die anderen Geisteswissenschaften anging, so befanden sich ihre Kenntnisse sicherlich auf dem Niveau von Ogern.
»Für Lord Oulagh«, sagte Cindiel. »Das ist gut.«
Der Söldner konnte ihre Bemerkung nicht zuordnen. Er lehnte sich vor, und seine Augen verengten sich, während er Cindiel weiter musterte.
»Ich freue mich, dass es dem alten Mann besser geht«, kam sie ihm zuvor. »Bei meinem letzten Besuch war er mit Blindheit geschlagen. Da er aber nun schon wieder nach Karten verlangt, gehe ich davon aus, dass seine Sehkraft sich auf wundersame Weise verbessert hat. Ich konnte ihm mit meinen Zauberkräften nicht helfen. Die Götter scheinen ihm wohlgesonnen.«
Cindiel kannte Lord Oulagh nur vom Hörensagen. Er war ein unbedeutender Lord aus Süden von Nelbor. Einige kleine Bauerngemeinden nannten ihn Lehnsherr, das war aber auch schon alles. Er besaß kein Heer, keine Burg und keine Schiffsflotte, die ihm zu Reichtum verhelfen konnte, aber er war ein Lord und wahrscheinlich nicht blind.
»Lord Oulagh geht es wieder besser«, log der Söldner. »Prios hat ihm sein Augenlicht zurückgegeben, und nun ist er voll Wissbegier, wie das Land sich während seiner Finsternis verändert hat.«
»Das ist schön«, sagte Cindiel, wollte es aber nicht darauf beruhen lassen. »Ich hoffe, er erwartet nicht allzu viel. In dem halben Jahr, in dem er nicht sehen konnte, hat sich die Welt sicherlich nur wenig verändert.«
Mittlerweile dürfte es selbst dem dümmsten Söldner aufgefallen sein, dass er an der Nase herumgeführt wurde. So befremdlich Cindiel ihre beiden Begleiter, Gnunt und Tastmar, auch in der Nacht zuvor gefunden hatte, so glücklich schätzte sie sich nun über ihre Anwesenheit. Ohne die beiden Oger wären Hagrim und sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits tot.
»Ihr stellt viele Fragen für eine junge Dame, deren Aufenthalt im roten Sumpf genauso fragwürdig ist wie der unsere, und das nicht nur bezogen auf Eure Begleitung«, konterte der Söldner. »Findet Ihr nicht, wir sollten uns erstmal einander vorstellen. Mein Name ist Gorthjohn.« Der kräftige Mann mit dem kahl geschorenen Kopf und dem breiten Backenbart erhob sich halb von seinem Platz, deutete eine Verbeugung an, setzte sich aber sogleich wieder. Eine lang verheilte Narbe verlief von Höhe seines linken Auges bis hinunter zum Kinn. »Der alte Griesgram mit dem Vollbart neben mir ist Pollog, der daneben sein Sohn Gunthger.« Er zeigte die Reihe weiter entlang, aber keiner der Männer sah auch nur
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