Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
nicht locker lassen. Der Hund rollte nur hektisch mit den Augen, knurrte bösartig und biss kräftiger zu. Rator packte seine Axt kurz hinter der Klinge. Er schlug den Hund gegen die Wand des Langhauses und wollte ihm gerade den Garaus machen, da strömten die ersten Bewohner des Dorfes zur Tür heraus. Frauen und Kinder, bewaffnet mit Speeren, rannten auf die bellenden Hunde und auf Rator zu.
»Ein Bär«, schrie eine junge Frau. »Tötet ihn, bevor er das Vieh reißt.«
Rator blieb keine Zeit, er musste verschwinden. Ein Kampf gegen Frauen und Kinder war die Sache nicht wert. Er war ein Kriegsoger, kein Schlächter. Irgendwo würde sich eine andere Gelegenheit für ihn ergeben, seinen Hunger zu stillen.
Rator trat den Rückzug an. Auf demselben Weg, den er gekommen war, rannte er zurück zum Wall. Mit zwei großen Schritten hatte er die Barriere hinter sich gelassen. Irgendjemand pfiff die Hunde zurück und gab ihnen Kommandos, beim Vieh zu bleiben. Wenig später wurden die ersten Fackeln im Dorf entzündet, und Rator sah die langen Schatten der Bewohner an den Hauswänden, die nach ihm suchten. Als sie die Lücke im Wall entdeckten, war er schon viele hundert Schritt vom Dorf entfernt.
Rator schlug wieder die Richtung ein, die ihm der Staub aus dem Beutel am Morgen gewiesen hatte. Gut zwei Stunden hatte er bei der Suche nach Essen verloren. Diese Zeit galt es, jetzt wieder einzuholen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, wiederholte er Tusfells Worte in Gedanken.
Der Hund hing immer noch an seiner Hand. Rator hatte den Brustkorb der Bestie unter die Achsel geklemmt und presste nun beim Laufen die Luft aus den Lungen des Tieres. Nach einiger Zeit schwand die Gegenwehr des Hundes, trotzdem ließ sich sein Kiefer nicht öffnen.
Rator erreichte einen kleinen Hügel, umsäumt von Tannen. Hier würde er sein Nachtlager aufschlagen und sich mit dem Essen zufrieden geben, dass ihm Tabal zugestanden hatte. Der Hund war bereits tot, und Rator musste ihm den Kiefer brechen, um ihn von seiner Hand zu lösen. Geschickt häutete er das Tier mit seiner Axt und trennte sich eine Keule ab. Über einem Feuer garte er das Fleisch. Bevor er den ersten Bissen tat, blickte er auf den übrig gebliebenen Kadaver.
»Rator hoffen, du nicht schmecken, wie du aussehen, und Fleisch nicht so zäh wie Willen.« Gerade als er genüsslich in die Keule biss und feststellen musste, dass seine Befürchtungen noch übertroffen wurden, sah er einen Fackelschein einige Meilen zurück. Eine Gruppe Hüttenbauer folgte ihm.
6
Zurück ins Leben
Es war eine Sache, aus den weiten Grünlanden Nelbors zurück in den roten Sumpf zu kehren, eine ganz andere, aus den Bergen heimzukehren. Natürlich besaß jede Region in Nelbor ihre Eigenheiten und Herausforderungen, doch das war nicht der Grund für Mogdas Gemütsstimmung. Der Oger hatte sich an den Schnee und die Kälte in den Bergen gewöhnt gehabt. Auch das Leben in absoluter Einsamkeit hatte ihm nichts ausgemacht. Doch als er vor einer Stunde die Schneegrenze erreichte, hatte ihn das Gefühl befallen, die Zeit zurückgedreht zu haben. Er war nicht nur zurück aus den Bergen, er war zurück im Leben.
Dieses Gefühl schien an sich nicht unbedingt schlecht zu sein, aber Mogda wusste, dass es Probleme mit sich bringen würde. Je länger er darüber nachdachte, umso bewusster wurde ihm, dass eigentlich die fremden Barbaren ihn ins Leben zurückgeholt, während sie Usil herausgerissen hatten. Er war wie ein Stein, den jemand vom Gipfel geworfen hatte und der jetzt zurück ins Tal rollte. Jetzt kam es darauf an, was er alles mit sich riss. Er musste es schaffen, seine Richtung wieder selbst zu bestimmen.
Mogda hatte Usils Leichnam in das Fell des Höhlenbären gewickelt und sich das Paket dann über die Schulter gelegt. Er ging davon aus, dass die Krieger immer noch hinter ihm her waren. Sie loszuwerden hieß, sie zu töten. Momentan jedoch reichte es ihm, einen gebührenden Vorsprung zu halten. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit, mehr über sie zu erfahren. Der Weg, den Mogda zum Abstieg gewählt hatte, würde die Menschen noch eine Weile aufhalten. Zuerst galt es, Usil zurück nach Hause zu bringen und ihm eine letzte Ruhestätte zu geben, danach würde er sich mit den Barbaren beschäftigen.
Der Abstieg aus den Bergen wurde zunehmend einfacher. Bald endete der Pfad an einem breiten Hang losen Gerölls. Von Schnee und Eis gab es hier keine Spur, er schien eine ganz neue Welt betreten zu haben.
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