Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
sägte der Bauer einen Keil aus dem Holz zurecht, das für solche Fälle an der Seite des Wagens hing, und bearbeitete es mit einem Hobel, um es einzupassen. Er arbeitete sehr sorgfältig und ließ sich Zeit. Mogda wurden langsam die Arme schwer, und er fragte sich, ob dem Bauern klar war, dass auch die Kraft eines Ogers nicht begrenzt in ihm schlummerte.
Mittlerweile hatte der Junge im Wagen langsam die Scheu vor dem Oger verloren. Er schaute frech durch einen Spalt in der Plane und streckte die Zunge heraus. Mogda fiel es aufgrund der Anstrengung leicht, eine Grimasse zu ziehen. Der Junge schien angetan und erwiderte die Geste.
»Wie alt ist deine Schwester?«, fragte Mogda.
»Sie ist drei, und du?«
Noch nie hatte jemand Mogda gefragt, wie alt er war. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass er es auch nicht wusste. »Irgendetwas zwischen vierzig und fünfzig, glaube ich«, gestand er.
»Wie alt werden Oger?«
»Mindestens hundert«, verkündete Mogda stolz.
»Und dann?«
»Dann gehen sie zu ihrem Gott Tabal und leben bei ihm als seine Leibgarde.«
»Wir haben keinen Gott mehr«, sagte der Junge ohne eine Wertung. »Prios ist gestorben. Wenn ich sterbe, bin ich einfach nur tot. Mein Vater sagt, irgendwann sind alle Menschen tot, und dann ist die Welt leer.«
Der Bauer hatte das Rad repariert und wieder auf die Achse gesteckt. Gerade rechtzeitig, dachte Mogda, denn er hatte keine Lust, diese Unterhaltung weiterzuführen, insbesondere nicht mit einem kleinen Jungen. Der Bauer nickte, und Mogda ließ den Wagen wieder herunter. Mit ein paar Schlägen auf die Keile hatte Joklu das Rad fixiert.
»Danke«, sagte der Mann schlicht.
»Wohin wollt ihr?«, erkundigte sich Mogda.
Der Bauer sah den Oger an, als ob er eines seiner Kinder hergeben sollte. Außer ein paar lautlos mit den Lippen geformten Worten erhielt er von Joklu keine Antwort.
»Wir fahren nach Sandleg«, rief der Junge aus dem Wagen und steckte seinen Kopf durch die Plane. »Vater sagt, wir reisen in ein anderes Land. In ein Land, wo uns die Götter wieder sehen können. Er meint, Nelbor sei verflucht, wegen dem Bündnis mit den Kreaturen Tabals. Und Mutter sagt, sie will noch mehr Kinder haben als mich und meine Schwester. Sie will nicht mit ansehen müssen, wie die letzten Menschen von Unholden abgeschlachtet werden. Was sind Unholde?«
»Unholde sind große, hässliche Wesen, die dir Böses wollen«, erklärte Mogda.
»So wie du?«, fragte der Junge ganz ungeniert.
»So wie ich, nur noch viel dicker.«
»Mein Vater könnte dich besiegen«, rief der Junge.
Mogda schaute zu dem Bauern hinüber. Der stand vor Angst erstarrt da und schien zu hoffen, dass sein Sohn sich durch seine Behauptungen nicht zur Waise machte.
»Natürlich kann er das«, sagte Mogda, »aber ich glaube, dass er weiß, dass ich euch nichts Böses will.«
Der Bauer rang sich ein entschuldigendes Lächeln ab. Der Junge war mittlerweile vom Wagen geklettert und stellte sich neben seinen Vater. Stolz schaute er zu diesem auf. Joklu schien erleichtert, dass Mogda sich nicht herausgefordert fühlte. Er nickte mit dem Verständnis, dass nur ein Vater für seinen Sohn haben konnte.
»Vater, Julante schläft«, rief der Junge plötzlich aufgeregt und zeigte auf das Schwein, das am Strick festgebunden hinter dem Wagen lag. Der Hund hatte sich unterdessen mit eingeklemmtem Schwanz unter den Wagen verzogen. Mogda wusste nicht, wie Schweine aussahen, wenn sie schliefen, da die Tiere bislang immer aufgeregt umhergelaufen waren und gequiekt hatten, wenn er in der Nähe gewesen war. Oder wohlriechend über einem Feuer gehangen hatten. Doch auch ohne dieses Wissen konnte er sagen, dass ein Tier mit weit aufgerissenen Augen, der Zunge schräg aus dem Maul hängend und steifen, gen Himmel gerichteten Beinen tot war.
Mogda zog einige Münzen unter seinem breiten Gürtel hervor, die zum Teil aus Usils Nachlass stammten, und warf sie dem Bauern hin.
»Ich hoffe, das reicht für ein Schwein«, sagte Mogda.
Der Junge machte sich sofort ans Aufsammeln und zählte stolz die Münzen zusammen.
»Vierzehn Goldstücke«, triumphierte er. »Dafür bekommt man sogar eine Kuh.«
Für Mogda war das Geld wertlos. Es war ihm egal, was man dafür kaufen konnte, und die Familie schien es gut gebrauchen zu können. Er nahm das Schwein, nachdem er ohne Mühe das Seil durchtrennt hatte, auf die noch freie Schulter und zog weiter Richtung Tannenverlies.
»Pass gut auf Julante auf. Sie ist
Weitere Kostenlose Bücher