Blutiges Echo (German Edition)
Schlange, die ihre Umgebung erkundete. Das Kabel um seinen Hals schnitt ihm tief ins Fleisch. Seine Hände waren gefesselt, genau wie seine Knöchel. Immer wieder trat er mit den Fersen nach hinten und schlug hart gegen die Tür.
Der Tunnelblick zerstob, das Sichtfeld weitete sich.
Ein zweiter Mann stand neben der Tür und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, während er dem Geschehen zusah. Er trug einen dicken Mantel und einen Hut. Weiße Wölkchen stiegen aus seinem Mund, wie es schien in Zeitlupe. Sie sahen wie Wattebäusche aus, die an einem unsichtbaren Faden gen Himmel gezogen wurden.
Während der Mann dort hing, stand ein Dritter in den Schatten beim Arbeitstisch, auf dem die Autoteile lagen. Er befand sich im Dunkeln, sein Gesicht war nicht zu erkennen.
Der mit dem Hut holte langsam eine Zigarette aus der Manteltasche und steckte sie sich in den Mund. Dann nahm er ein Feuerzeug aus einer anderen Tasche und zündete die Zigarette an. Es rumste, als das Geräusch des Feuerzeugs ertönte. Harry hörte, wie Jones’ Fersen immer heftiger gegen die Tür schlugen; er konnte sogar hören, wie der Mann mit dem Hut nach seinem ersten Zug seufzte. Und diesmal konnte Harry sein Gesicht genau erkennen.
Er war ihm noch nie begegnet.
Rumms.
Rumms.
Rumms .
Harry war nicht klar, woher all dieser Lärm kam, und es donnerte immer weiter; nach den ersten drei Malen veränderte sich das Geräusch ein wenig, als würde ein anderer Gegenstand malträtiert.
Und da begriff er es.
Das war Tad.
Mit dem Schlauch.
Und die Vision ballte sich zu einem schwarzen Knäuel zusammen und verschwand, und Harry schaute jetzt in Richtung Büro, und er sah, wie Tad mit dem Schlauch ausholte, wie er gegen die Bürowand schlug, genau unter der Glasscheibe …
Rumms.
… der Rothaarige, den er vorher schon einmal gesehen hatte, der aus dem Bunker, der war es, und er wurde von dem mit dem Hut gegen die Scheibe geschubst und knallte mit dem Hinterkopf dagegen, sodass sie spinnennetzförmig zersplitterte, und er wand sich aus dem Griff des Mannes mit dem Hut …
Rumms.
… ein Taschenmesser sprang in seiner Hand auf und fuhr seinem Angreifer übers Gesicht. Ein schmales dunkles Rinnsal von Blut drang dem Hutmann aus der Wange, Tröpfchen spritzten gegen das Glas. Der Rothaarige befreite sich, flitzte los …
Rumms.
… alles knüllte sich wieder zusammen, und …
Rumms.
… Bilder stürzten auf ihn ein, einige sahen gespenstisch aus, einige überlagerten sich und waren nicht genau zu erkennen.
Der Rothaarige stieß mit flachen Händen die Hintertür auf. Ein Rechteck silbrigen Lichts ergoss sich in die Werkstatt, und der Rotschopf rannte geradewegs hinein, nach draußen, den Hügel hinauf und …
… verblasste.
Harrys letzte Vision zeigte den Hutmann, der ein Telefon im Büro packte, sein eigenes Taschenmesser aufschnappen ließ und das Telefonkabel durchschnitt … und dann …
Übelkeit, Schmerz, Gefühlschaos, zerknitterte Dunkelheit, ein Lichtblitz und die schrecklichsten Empfindungen, die er je verspürt hatte, dann jagte er einen stockfinsteren Flur entlang, und von allen Seiten wollte ihn etwas packen. Ganz hinten, ganz am Ende, sah er das Licht. Es war nicht sehr hell, und es war von kleinen Silberpunkten durchsetzt, und kurz darauf begriff Harry, dass er hinter der Werkstatt auf der Erde lag, zu den Sternen aufschaute und nach kalter Luft schnappte, und dann schien der Mond …
… nein, Tads Gesicht schien über ihm, und Tad sagte: »Kleiner, du warst auf einem richtigen Höllentrip. Du hast aufgehört zu atmen. Kayla hat dir Mund-zu-Mund-Beatmung gegeben. Stell dir vor, ich hätte es gemacht – ich bräuchte erst mal dringend ein Pfefferminz.«
Gott sei Dank auch für die kleinen Gaben, dachte Harry. Dann wurde ihm klar, dass er gar nicht auf dem Boden lag, sondern auf Kaylas Oberschenkel. Sie hielt seinen Kopf im Schoß. Das hatte er schon mal erlebt. Vor Jahren. Es hatte ihm damals gefallen, und es gefiel ihm auch jetzt.
Sie beugte sich vor, um ihn anzuschauen. Eine Träne kullerte ihr aus dem Auge und landete auf seiner Stirn. In der kalten Luft fühlte sie sich gut und warm an.
»Ich dachte, du würdest sterben.«
»Ich … auch«, erwiderte Harry nach einer Weile mühsam.
»Du bist völlig ausgerastet und hast dich ständig im Kreis gedreht.«
»Nix passiert«, sagte Harry.
»Hast du was gesehen?«, fragte Kayla.
»Mehr, als mir lieb ist.«
»Und?«
»Dein Vater wurde ermordet. Von demselben Mann,
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