Blutiges Echo (German Edition)
höchstwahrscheinlich einigen Krawall gemacht. Das hinterlässt eine Prägung, und ich bin empfänglich dafür. Zeig mir die Tür, an der er erhängt wurde, Kayla.«
Kayla nahm ihn bei der Hand. Das gefiel ihm schon mal. Sie zog ihn mit sich in die Dunkelheit und leuchtete auf eine Tür. Sie stand offen und führte zu einem kleinen Büro mit einer Glaswand, deren Scheibe zersprungen war.
Davor blieben sie stehen.
»Hier ist noch was«, sagte Kayla und ließ seine Hand los. »Schau mal, da unten an der Tür.«
Harry senkte den Blick. Im Holz waren Kerben zu sehen.
»Da hat er mit den Fersen gegengetreten«, sagte sie und schluckte mühsam. »Scheiße.«
»Kayla«, sagte Harry, »wenn ich das wirklich durchziehe und dir erzähle, was passiert ist, kommt dabei vielleicht nicht das raus, was du hören möchtest.«
»Ich weiß.«
»Kleiner«, sagte Tad, »bist du sicher, dass du das durchziehen willst? Du hast ja schon die Hosen voll, wenn du über ein Schlagloch fährst, nur weil da vielleicht mal ein Airbag ausgelöst wurde.«
»Ich bin nicht mehr so wie früher.«
»Schon klar, aber das hier ist eine ganz andere Hausnummer.«
»Behaltet mich einfach gut im Auge und sorgt dafür, dass nichts schiefgeht.«
»Alles klar, Kleiner.«
»Der Plan lautet folgendermaßen: Ich werde diese Tür aufreißen und zuknallen. Mal sehen, ob dann was kommt. Wenn ja, kriege ich nichts anderes mehr mit. Passt einfach auf, dass ich mich nicht verletze. Möglicherweise kann ich nicht mehr stehen. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich von einem ganzen Zug voller Gefühlseindrücke überfahren werden, der über mich drüberrollt und mich mit sich über die Gleise schleift. Nach einer Weile, Tad, schnappst du dir irgendeinen Gegenstand und drischst an verschiedenen Stellen auf die Arbeitsplatte ein, gegen die Wände – nimm den Gummischlauch oder den Keilriemen vom Tisch da.«
»Auf Sachen eindreschen?«, wiederholte Tad, während Kayla mit der Taschenlampe über den Tisch leuchtete.
»Genau.«
Tad nahm sich einen Schlauch und schlug sich damit leicht in die Handfläche. »Bin so weit, Kleiner.«
»Alles klar. Kayla, du leuchtest die ganze Zeit zu mir. Pass auf, dass mir nichts passiert. Wenn es zu viel wird, hebt ihr beide mich hoch und tragt mich raus. Je weiter ich von dem Ereignis weg bin, desto schneller erhole ich mich wieder. Verstanden?«
»Verstanden«, sagte Kayla.
»Ich soll einfach drauflosprügeln?«, fragte Tad noch mal.
»Jepp.«
»Das erinnert mich an damals, im Honkytonk«, sagte Kayla. »Als wir nach Geistern gesucht haben.«
»Mit dem Unterschied, dass ich damals nicht wirklich erwartet hab, einen zu finden. – Ich muss mich kurz konzentrieren.«
Kayla drückte Harry die Hand, dann ließ sie ihn los.
Die Geräusche umgaben ihn pausenlos, konnten jederzeit über ihn herfallen, ihn packen und von innen nach außen umkrempeln, aber er sagte sich, was er sich seit einiger Zeit immer und immer wieder mit wechselndem Erfolg sagte. Er konnte die Geräusche einigermaßen in Schach halten. Zumindest sprangen sie ihn nicht mehr wie ein Panther an, wenn er so ein eingeschlossenes Knurren aufscheuchte. Sie hallten sanft nach, und die Bilder, die sie in sich hielten, flatterten an den Rändern seines Verstandes wie Vampirfledermäuse in den schattigen Winkeln eines schlecht beleuchteten Tunnels. Er konnte sie spüren, konnte sie beinahe schon sehen, so wie der Wind in dem alten Gebäude knarzte und die Aluminiumverkleidung ächzte.
O ja, irgendetwas war hier.
Und lag auf der Lauer.
Harry griff nach der Tür und schob sie sanft hin und her, um sicherzugehen, dass sie Spiel hatte. Ächzend drehte sie sich in den Angeln, aber sie bewegte sich. Er schwang sie noch ein paar Mal vor und zurück, dann riss er sie rasch auf und knallte sie zu …
… Geräusche wurden hinauskatapultiert, und mit ihnen kamen alle Farben der Welt, und dann noch ein paar zusätzliche, und sie fühlten sich nass und schwer an, und sie strömten in seinen Kopf und ließen ihn anschwellen, bis er platzte vor …
Dunkelheit flatterte ihm im Schädel umher und wuchtete feuchte Flügel auf und ab.
Flapp, flapp, flapp.
Ein Mann bildete sich aus der Dunkelheit heraus und hing an der Tür, die Harry zugeschlagen hatte. Es war Kaylas Vater, der dort mit einem BH, Netzstrümpfen und einem rosa Spitzenhöschen baumelte; seine Fersen trommelten ein Muster in die Tür, und seine dicke, dunkel gefärbte Zunge zuckte umher wie die Zunge einer
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