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Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Radarschirm. Aber für den Betroffenen ist es eine schlimme Sache.« Er drehte sich zu Delorme um. »Zwei Monate hab ich hier zugebracht. Zwei Monate.«
    »Das ist eine lange Zeit.«
    »Am Anfang war es noch nicht so schlimm, nach dem ersten Schock, meine ich. Sie waren höflich, sorgten dafür, dass ich es bequem hatte – das heißt so bequem, wie man es eben haben kann mit gefesselten Händen und einer Kapuze über dem Kopf. Es war ein Kopfkissenbezug, den sie an einer Naht aufgerissen hatten. Ich konnte geradeaus sehen, aber nicht zur Seite. Hatte zwei Monate lang eine prächtige Aussicht auf diese Wand. Sie haben mir immer wieder versichert, dass sie mir nichts tun würden, dass ich nur ein Pfand war und so weiter, ein Verhandlungsgegenstand. Vermutlich waren sie auf ihre Art ganz respektvoll.«
    Er drehte sich zum Fenster um. »Das war zugenagelt. Ich hab mir ausgemalt, wie ich ein Brett nach dem anderen losbekomme und eines Tages rausspringe, aber es war ja immer ein bewaffneter Wächter bei mir. Sie brachten mir Bücher zum Lesen — zuerst politisches Zeug und später dann Taschenbuch-Thriller.« Er seufzte, und sein Atem bebte.
    »Wie viele waren hier?«, fragte Cardinal, aber Hawthorne schien es nicht zu hören. Leise vor sich hin murmelnd, fuhr er mit seiner Führung durch die Vergangenheit fort, wies mit dem Finger auf eine Ecke, nickte mit dem Kopf in Richtung einer Wand.
    »Eine Liege als Bett. Vermutlich einigermaßen bequem, aber sehr schmal. Dadurch hatten sie es leichter, mich festzubinden.«
    Eine Drehung, ein Kopfnicken.
    »Ein Campingstuhl neben der Tür. Und immer besetzt. Sie waren immer bewaffnet, aber sie haben nie mit der Waffe herumgefuchtelt oder so. Es war genug, dass sie eine hatten.«
    Eine Drehung, ein Kopfnicken.
    »Hier war ein Klapptisch. Zwei kleine Klappstühle. Da hab ich gegessen. Eine Menge Fastfood natürlich. Sie hatten allerdings eine Frau, die gelegentlich kochte. Madeleine hieß sie. Sie machte eine gute Tourtière und andere Gerichte. Hat sogar manchmal was gebacken. Sie schien wegen des ganzen Unternehmens Schuldgefühle zu haben. »Keine Sorge«, flüsterte sie mir manchmal ins Ohr. »Keine Sorge, Ihnen passiert schon nichts.«
    Die Erinnerung schien emotionale Saiten in ihm zum Klingen zu bringen, die bisher stumm gewesen waren. Er drückte sich den Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Und wissen Sie was – mir ist ja auch nichts passiert. Mir ist nichts passiert. Sie hatten die ganze Zeit das Radio oder den Fernseher laufen, und so konnte ich immer die neuesten Nachrichten hören. Und es klang so, als würde die Provinzregierung alles Erdenkliche tun, um die Sache durch Verhandlungen zu einem guten Ende zu bringen. Aber dann rief Ottawa die Armee. In dem Moment, als sie das Kriegsrecht verhängten, ging hier die Luft raus. Die Kidnapper hatten so etwas nicht erwartet, sehen Sie. Sie dachten, es wären echte Verhandlungen im Gange. Aber in dem Moment, als Ottawa die Sache übernahm …«
    Mit der Stiefelspitze folgte Hawthorne den Umrissen eines Tigers in dem Teppich zu seinen Füßen. »Sobald sie den Eindruck bekamen, ihre Verhandlungen seien fruchtlos, bekamen sie es mit der Angst. Nun ja, Sie haben ja gesehen, was in der anderen Zelle passiert ist. Einen Tag nachdem das Kriegsrecht verhängt war, haben sie Raoul Duquette getötet …«
    Seine Stiefelspitze war am Maul der Wildkatze angelangtund glitt weiter zu den Ohren, dann wieder den Unterkiefer hinab. »Der arme Mann liegt seit dreißig Jahren im Grab. Und ich lebe – reine Glückssache. Er kam zu der gewaltbereiteren Gruppe. Manche Leute haben gemutmaßt, er hätte mit den Entführern Streit angefangen, aber ich bin sicher, dass er nicht so dumm war, die gegen sich aufzubringen. Nein, er hatte lediglich das Pech, von Leuten entführt zu werden, die bereit waren zu töten. Meine Entführer waren es nicht, und ich schreibe es keinen Moment meinen diplomatischen Fähigkeiten zu, dass ich noch am Leben bin. Auch wenn ich tatsächlich so viel wie möglich mit ihnen gewitzelt habe.
    Das Wichtigste war mir, in ihren Augen ein Mensch aus Fleisch und Blut zu bleiben, ohne allerdings einen Kotau vor ihnen zu machen. Ich wollte nur, dass sie mich als ein Individuum betrachten, nicht als einen Gegenstand. Disponibel. Ich weiß noch, wie einmal einer von ihnen einen gewaltigen Furz losließ, und ich sagte: ›Ah, votre arme secrète – Ihre Geheimwaffe.‹ Sie mussten darüber lachen.«
    »Wie viele Leute

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