Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
herumzufahren.« Er zeigte mit dem Finger auf einen umgefallenen Baum, der vor ihnen den Weg versperrte.
    Sie stiegen aus und warteten auf Arsenault und Collingwood. »Sind Sie auf demselben Weg zum Auto zurückgekehrt wie auf dem Hinweg?«
    »Ja.« Er wies auf eine Fußspur im Schnee. »Das war ich. Ich hab keine anderen Spuren bemerkt, aber ich hab auch nicht drauf geachtet.«
    Delorme und Szelagy gingen voraus. Pascoe hielt sich dicht hinter ihnen, gefolgt von Arsenault, Collingwood und Dr. Barnhouse. Sie waren noch keine fünf Minuten unterwegs, als Pascoe hinter ihnen sagte: »Da oben. Direkt hinter dem Baumstumpf. Ich wäre beinahe über sie gestolpert.«
    In den sechs Jahren, in denen Delorme bei der Sonderermittlung gearbeitet hatte, waren ihr Leichen erspart geblieben. In ihrer Zeit als Streifenpolizistin hatte sie natürlich die üblichen Unfallopfer und Ertrunkenen gesehen. Die Fundorte strahlten stets völlige Hoffnungslosigkeit aus, selbst wenn das Opfer in einem freundlich eingerichteten Wohnzimmer umgekommen war. Zuweilen waren die Umstände abstoßend: Männer, die nackt in der Schlinge hingen, pornografische Heftchen unter ihren bleichen Füßen verstreut. Zuweilen waren sie beängstigend: etwa dort, wo ein Feuer getobt hatte und die verkohlten Überreste von seiner alles verschlingenden Wut zeugten. Manche waren unheimlich: ein stillgelegter Minenschachtmitten in einer Winternacht. Was Delorme in ihrer gesamten Dienstzeit noch nie gesehen hatte, war ein Fundort von solcher Schönheit.
    Sie und Szelagy und die anderen standen am Rand einer Szene wie aus dem Bilderbuch. In allen Richtungen schimmerten die Bäume, als wären sie aus Edelsteinen gemacht. Kein Laut war zu hören außer dem Knacken im Geäst und dem Brummen eines Schneemobils in der Ferne. Jede Oberfläche warf das Sonnenlicht zurück, so dass das Ganze mehr von einem Märchen als von einer Tragödie hatte, die Art von Geschichten, in denen Statuen zum Leben erwachen.
    Doch die Gestalt vor ihnen würde nicht wieder zum Leben erwachen. Die Frau lag wie im Schlaf auf der linken Seite, ein Knie und einen Arm angewinkelt, wie um das Gleichgewicht zu halten. Auf den ersten Blick waren keine Anzeichen von Gewalteinwirkung zu erkennen, keine Schnittwunden oder Prellungen. Aus der Ferne fotografiert, hätte man denken können, dass sie schlief. Doch es gab nichts Regloseres als einen Leichnam, darüber konnte nichts hinwegtäuschen. Dieser hier war nackt, mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Selbst das lange schwarze Haar, das der Frau in lockigen Strähnen übers Gesicht fiel, war von Eis überzogen. Sie sah aus wie verzaubert – das Opfer eines eifersüchtigen Zauberers oder einer bösen Hexe vielleicht.
    »Rumstehen bringt nichts«, bemerkte Barnhouse.
    »Man nennt das Leichenbefundaufnahme«, sagte Delorme. »Ihnen mag es ja lieber sein, darüber herzufallen und Beweismaterial zu zertrampeln, aber wir werden zuerst ein paar Fotos machen.«
    »Das werden Sie nicht.« Barnhouse vertrug keinen Widerspruch, und wenn er gar von einer Frau kam, wirkte er sich sichtbar auf seinen Blutdruck aus und führte dazu, dass er stotterte. »Das werden Sie nicht«, wiederholte er. »Ich bin der Coroner, und ich bin hier zuständig.«
    »Außer wenn ein Verbrechen festgestellt wurde.«
    »Was ich zu tun beabsichtige, wenn Sie mich nicht an der Arbeit hindern.«
    »Das Opfer liegt nackt bei Frosttemperaturen mitten im Wald. Wenn Sie mich fragen, haben wir damit bereits festgestellt, dass ein Verbrechen vorliegt.« Szelagy warf Delorme einen Take-it-easy-Blick zu, und Delorme fing an, im Stillen bis zehn zu zählen.
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie ausgebildete Pathologin sind«, maulte Barnhouse weiter. »Vielleicht brauchen Sie ja gar keinen Coroner.«
    »Doktor«, sagte Delorme. »Wir brauchen Sie, und wir möchten, dass Sie sich die Leiche ansehen. Lassen Sie uns nur erst ein paar Aufnahmen machen, bevor irgendjemand von uns Beweismaterial zerstört.«
    »Wir stellen hier hinten gerade die Videokamera auf«, sagte Arsenault. »Lassen Sie sie mit Weitwinkel laufen.«
    Collingwood war unterdessen schon dabei, mit einem Fotoapparat und einem Maßband die Spur festzuhalten, die auf die Lichtung führte. Es schien nur eine zu geben. Er drehte sich zu Pascoe um. »Könnten Sie bitte mal einen Fuß hochheben, Sir?«
    Pascoe folgte etwas linkisch seiner Aufforderung, indem er sich gegen einen Baum lehnte. Collingwood machte ein paar Fotos von seinen

Weitere Kostenlose Bücher