Blutiges Gold
wie eine Geliebte.
Miranda zupfte an ihrer Nagelhaut herum und blickte auf ihren erschreckend bleichen Sohn.
Gleich darauf hörte sie ein leises Klopfen an der Tür, die anschließend sofort geöffnet wurde. Der Pfleger schaute herein. »Es tut mir leid, Mrs Seton, aber der Arzt möchte, dass Ihr Sohn sich möglichst viel ausruht. Bitte kommen Sie mit mir mit. Dr. Wells wird Ihre Fragen gerne beantworten.«
Sie wollte widersprechen, sah dann aber, dass Tim wieder bewusstlos geworden war, und seufzte. »Wann kann ich ihn wieder besuchen?«
»Es wird ein paar Stunden dauern.« Die breite, behaarte Hand des Pflegers hatte Mirandas Ellbogen umschlossen, während er sie hinausbugsierte. »Dr. Wells erwartet Sie. Es ist viel Zeit für alle Ihre Fragen, bevor Ihr Sohn wieder aufwacht.«
Und, wie der Pfleger mit leichtem Sarkasmus dachte, viel Zeit für die besorgte Mutter, um die Klinik kurz zu verlassen und sich mit mehr Alkohol und Minzbonbons einzudecken. Soviel er über die Überwachungskameras der Klinik hatte erkennen können, waren ihre Alkoholvorräte weitgehend erschöpft.
Nicht dass es ihm irgendetwas ausmachte. An Alkoholiker und ihre Spielchen war er gewöhnt. Wenn die Bateman-Molonari-Klinik nicht gerade schlaff gewordene Haut straffte, bot sie Entziehungskuren für reiche Klienten an, die danach wieder weitermachen und sich erneut ins Koma saufen konnten. Sowohl für Eitelkeit als auch für Trunksucht hatte die Klinik immer eine Warteliste. Doch dieses Mal empfand der Pfleger echtes Bedauern für die alte Frau. Der Patient würde vielleicht noch ein paarmal aufwachen, vielleicht würde er sogar noch einmal einen lichten Moment haben … aber mehr nicht.
Der Sohn der Alten lag im Sterben.
40
Las Vegas
4. November
Morgens
Ian stellte seinen Wagen neben Shane auf den löchrigen Parkplatz des Jackpot Motel . Er bemerkte, dass Shane dasselbe tat wie er, seit sie das Casino verlassen hatten – er blickte hinter sich.
»Wo ist er?«, fragte Shane, als Ian herankam.
»Wer«, fragte Risa.
»Der Bursche, der uns gefolgt ist.«
»Der Blonde in dem roten Wagen?«, fragte Risa.
Shane blickte sie rasch von der Seite an. Er hätte nicht gedacht, dass sie den Verfolger bemerkte.
Der Blick, den sie ihm zurückgab, verriet, dass es eine Menge an ihr gab, wovon er nichts bemerkte, und das war an erster Stelle die Tatsache, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte.
»Ja, der«, stimmte Ian zu und lenkte die Aufmerksamkeit von Shane und Risa auf sich. »Er steht einen halben Block weiter hinten.«
»Haben Sie sein Kennzeichen?«, fragte Shane.
»Hab’s schon an Rarities weitergegeben.«
»Wenn sie nicht so schnell Zugang zur Zulassungsstelle von Nevada kriegen, kann ich das machen.«
»Das glaube ich gern. Niall hat mal erzählt, Sie hätten schon als Kind auf Daddys Knien das Hacken gelernt.«
Risa unterbrach die beiden: »Ich höre dem nicht zu. Ich habe nicht gehört, wie mein Chef – mein Ex-Chef – sagte, er könne sich in Computer staatlicher Behörden einhacken. Vergessen Sie nicht die Möglichkeiten von Erpressung. Aber ich höre nicht zu.«
»Danke für die Erinnerung«, meinte Shane. »Auf geht’s.«
Mit dem Foto von Cherelle und demjenigen von Risas zeitweiligem Kidnapper, die beide von der Überwachungskamera stammten, betraten die drei das Jackpot Motel und gingen ins Büro. Es stank nach Rauch und den Überresten eines überquellenden Aschenbechers von der Größe eines Suppentellers. Die Frau hinter dem Empfangstisch aus Holzimitat sah so alt und verwittert aus, als könnten ihre Kinder schon Rente beziehen. Sie trug einen bedruckten orangefarbenen Pullover, der ihr bis an die Knie reichte, und darunter schwarze Trikothosen. Ihre Haare waren unnatürlich schwarz. Ihr Gesicht wirkte maskenhaft.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung, Madam«, wandte Risa sich an sie. »Aber ich suche meine Freundin, Cherelle Faulkner.« Während sie sprach, legte Ian ein Foto von Cherelle auf die Theke. »Sie hat hier vor ein paar Tagen übernachtet und vielleicht noch nicht ausgecheckt.«
»Verlieren Sie Ihre Freunde häufig?«, fragte die Frau mit kratzender Stimme.
Risa lächelte breit. »Nein. Aber Cherelle ist ein bisschen nachlässig, wenn es ums Auschecken und Bezahlen von Rechnungen geht. Deshalb folge ich ihr einfach und sehe zu, dass niemand zu kurz kommt. Wie viel schuldet sie Ihnen?«
Die Frau warf einen kurzen Blick auf das Foto. Dann zündete sie ein Zigarillo an und sog langsam den
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