Blutiges Gold
Vegas
4. November
Am späten Vormittag
John Firenze schnappte nach seinem Privattelefon, als wäre es ein Lotterieschein mit Gewinnnummer. »Ja?«
»Sheridan hat mit Tannahill und einem anderen Mann das Casino verlassen. Sie sind noch nicht zurückgekehrt.«
»Wo sind sie hingefahren?«
»Weg.«
»Herrgott noch mal, so schlau bin ich auch!« Er spähte durchs Fenster an der gegenüberliegenden Seite seines Büros, das auf die Baustelle eines anderes großes Casinos blickte. Das Problem mit Verwandten war, dass nicht alle von ihnen wirklich clever waren. Aber wenigstens hatte sein Cousin Frankie mehr Grips als der einfältige Cesar. »Wohin?«
»Zum Jackpot Motel . Die alte Schrulle dort hat erzählt, sie hätten ihr Fragen über Cherelle, Tim und einen Kerl namens Socks gestellt. Hat mich fünfzig Dollar gekostet, um rauszufinden, dass sie gar nichts weiß. Also haben die auch nichts Nützliches aus ihr rausgekriegt.«
Socks. Scheiße. Sie waren seinem dreimal verfluchten idiotischen Neffen auf die Spur gekommen. »Was machen sie jetzt gerade?«
»Sie haben sich aufgeteilt. Der zweite Bursche geht mit zwei Fotos von Tür zu Tür.«
»Wer ist da drauf?«
»Bin nicht nah genug rangekommen, um es herauszufinden. Soll ich?«
»Nein. Erwisch Sheridan alleine und gib ihr die Nachricht von mir. Verstanden?«
»Ja, aber das wird schwierig. Tannahill ist dauernd bei ihr, wie eine Klette.«
»Erzähl mir nichts über deine Probleme. Ich hab selbst genug.«
Firenze legte auf und wählte die Nummer, die er schon auswendig konnte, so oft hatte er sie in der letzten Stunde gewählt. Schon wieder der Anrufbeantworter. Er wartete nicht ab, bis er die Ansage ganz gehört hatte. Wie die Nummer kannte er sie auswendig: Mr Shapiro vom Pfandhaus Second Chance bedient gerade einen Kunden. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, wir werden Sie sobald wie möglich zurückrufen.
Firenze blickte auf die Uhr. Er konnte nicht länger warten. Noch eine Stunde länger, und er würde sich mit einem kleineren Stück des Kuchens begnügen müssen.
Oder er würde ganz leer ausgehen.
42
Las Vegas
4. November
Am frühen Nachmittag
William Covingtons Geschäft sah man bereits an, was es für ein Laden war: ein besseres Kommissionsgeschäft, von dem es hieß, dass hier vor allem Geldverleih stattfände, kurzfristig und zu Wucherzinsen. Die Antiquitäten waren nur das Beigeschäft. Schwere Möbel aus dunklem Holz standen überall herum, erleuchtet von Kristallleuchtern und Tiffanylampen. Die einzigen Waffen, die es hier gab, waren mehr als hundert Jahre alt und hingen wie Trophäen an den Wänden. In Glasvitrinen lagen kleinere Stücke, deren Wert und Handlichkeit einen Besucher leicht zu einem Diebstahl verleiten könnten.
»Vielen Dank, dass Sie mir so kurzfristig einen Termin gegeben haben«, sagte Shane, als Covington ihnen aus seinem Büro entgegeneilte.
»Aber es ist mir ein Vergnügen, Mr Tannahill, Ms Sheridan.« Covington lächelte beide nacheinander mit blitzenden Zähnen an. »Bitte bemühen Sie sich doch in mein Büro, der Kaffee ist schon fertig.«
Weder Shane noch Risa wollten Kaffee trinken, aber sie folgten Covington sofort. Das Büro bot mehr Diskretion als der vordere Verkaufsraum, wo besser gestellte Schnäppchenjäger und gierige Innenarchitekten zwischen den dunklen Möbeln herumstrichen.
Nachdem jeder Kaffee getrunken und passende belanglose Bemerkungen über das unveränderliche Wetter in Las Vegas gemacht hatte, blickte Covington Shane schließlich erwartungsvoll an.
»Soviel ich weiß, sind Sie gelegentlich mit Mr Smith-White in Geschäftskontakt«, sagte Shane.
»Wir haben immer wieder miteinander zu tun«, gab Covington lächelnd zur Antwort. »Wir sind so etwas wie einander wohlgesonnene Konkurrenten.«
Shane nickte Risa zu. Sie nahm einen Umschlag aus ihrer Tasche, zog glänzende Fotos heraus und fing an, sie auf Covingtons Mahagonitisch aus dem neunzehnten Jahrhundert auszubreiten. Shane beobachtete den Ladenbesitzer, nicht die Fotos. Es gab nicht ein einziges Zwinkern der Augenlider, keine Bewegung des Mundes, auch kein Ansteigen des Pulses, der oberhalb des weißen Hemdkragens von Covington sichtbar schlug.
Kein einziges Anzeichen, dass er die Fotos wiedererkannte.
»Sehr ungewöhnlich«, äußerte Covington. »Sind sie verkäuflich?«
»Wie viel, meinen Sie, sind diese Stücke wert?«, fragte Risa schnell.
»Du liebe Güte.« Er legte die Stirn in Falten. »Darüber muss ich erst nachdenken. Ich
Weitere Kostenlose Bücher