Blutiges Gold
wir das früher jedenfalls genannt.«
Ian war sicher, dass die Leute das heute auch noch sagten.
44
Las Vegas
4. November
Am Nachmittag
Risa und Shane steuerten den Laden von Shapiro an, der in der Nähe der heruntergekommenen Innenstadt und ihrer schäbigen Casinos lag. Die Gegend war voll von kleinen Läden, die sich den Anstrich bürgerlicher Solidität gaben, ihn aber nicht halten konnten. Shapiros Schaufenster waren vergittert, die blaue Neonreklame offerierte Barkredite. Auf der einen Seite grenzte eine Reiseagentur an, auf der anderen ein Laden mit dem unklaren Namen Women’s Need, der vom Sexshop bis zum Kurpfuscher alles Mögliche beherbergen konnte.
Shane fuhr an Shapiros Laden vorbei und parkte in einer Straße einen Block weiter. Der rote Lexus, der ihnen gefolgt war, konnte nicht rechtzeitig in Deckung gehen und fuhr langsam weiter, während sich Shane das Kennzeichen einprägte. Ohne das Auto aus den Augen zu lassen, wählte Shane eine Nummer auf seinem Handy, wartete, bis abgehoben wurde, und nannte die Nummer des Wagens.
Ein Seitenblick war zunächst Risas einziger Kommentar. Ihre Neugier gewann dann doch die Oberhand. »War das Factoid oder einer deiner eigenen Computermaulwürfe?«
»Factoid. Er ist nicht zu übertreffen. Hat sich schon in jede Fahrzeugzulassungsstelle in jedem Bundesstaat eingehackt. Auch in Kanada. Gerade versucht er es mit Mexiko, sagt aber, das System sei dort so korrupt, dass keiner mit dem Fahrzeug rumfährt, zu dem das Kennzeichen gehört. Ich hab ihm gesagt, dass er wohl einfach das System noch nicht verstanden hat.«
Shane warf einen Blick zurück auf Shapiros Laden. Falls die Lichter innen an waren, konnte man das im hellen Tageslicht nicht sehen.
»Sieht aus, als sei geschlossen«, meinte Risa.
»Ja.«
Er gab einen Befehl in sein Handy ein, sah sich die Nachrichten in seiner Mailbox an und rief Ians Botschaft ab. Ian war nicht geschwätzig, aber er hatte viel mitzuteilen. Das Telefon am Ohr, hörte Shane mit wachsender Anspannung zu.
Risa beobachtete Shanes Gesicht und fragte sich, was wohl passiert war. Es musste etwas Wichtiges sein. Andere konnten Shanes unbewegte Miene vielleicht nicht durchschauen, aber sie konnte es. Mit wachsender Ungeduld wartete sie, bis er das Handy endlich vom Ohr nahm und es abschaltete.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Joey Cline wurde ermordet.«
»Wissen wir, von wem?«
»Nicht direkt, aber sein Mörder hat eine blutige Spur hinterlassen vom Tatort, dem Pfandhaus Clines, bis zur Oasis Lane 113. Wer auch immer dort lebt, kennt Cherelle. Ich tippe darauf, dass Cline das Gold gekauft hat, es an Shapiro weitergab, der wiederum hat es Covington verkauft und der schließlich an Smith-White.«
Risa zwang sich, Atem zu holen. »Du bist dir sicher mit Cherelle. Sie hat mit einem Mörder zu tun.«
Das klang nicht nach einer Frage. Shane antwortete ihr trotzdem. »Ein Nachbar in der Oasis Lane erkannte Cherelle von dem Foto. Er erkannte auch den Mann namens Socks, deinen Kidnapper. Mrs Seton, die womöglich mit dem Mann verwandt ist, der Cline ermordete und die Blutspur auf der Gasse hinterließ, wohnt in der Oasis Lane 113. Ihr Sohn, ein Tunichtgut, kommt sie öfter besuchen, wie der Nachbar Ian erzählt hat. Cherelle gehört zu diesem Tunichtgut.«
»Seton«, murmelte Risa und erinnerte sich an das Flugblatt, das Cherelle in ihrem Apartment vergessen hatte. »Tim Seton. Er ist Cherelles Partner im Channel-Geschäft.«
»Und was ist mit Socks?«
»Der?« Risa lachte kurz auf. »Von dem ist in dem Flugblatt nicht die Rede.«
»Er fährt ein lila Auto mit lautem Auspuff.«
Risa trommelte mit ihren Fingern auf ihre Schenkel. Was sie da gehört hatte, gefiel ihr gar nicht. Und was sie selbst dachte, gefiel ihr noch weniger. »Also gut. Socks fährt ein lila Auto, Cherelle wahrscheinlich einen alten Bronco, und Tim war in dem Motel und dann in dem Haus in der Oasis Lane. Was sagt Mrs Seton selbst?«
»Sie ist nicht zu Hause. Sie wurde gestern Nachmittag von einer schwarzen Limousine abgeholt. Soviel Ian herausgefunden hat, ist Cline wohl gestern ermordet worden. Die Leichenstarre war schon vorüber.«
Risa verzog das Gesicht. »Was ist mit dem Burschen, der die Blutspur hinterließ. Wo ist er?«
»Ian wird sich das Haus heute Nacht anschauen, aber ich habe so eine Eingebung, dass Tim es war, der verwundet wurde, und dass seine Mutter ihn in das schwarze Auto verfrachtet und ihn irgendwo hingebracht hat, wo er stillschweigend
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