Blutiges Gold
persönlichen Briefe, es gab auch keine vergessenen Ohrringe zwischen den Stiften – nichts, was über Risas Privatleben hätte Auskunft geben können. In ihrem Apartment auf dem Casinogelände sah es genauso aus. Auch dort gab es nichts aus ihrer Vergangenheit, woran sie erinnert werden wollte.
Mit sechzehn hatte sie gelernt, dass sie nur bekam, was sie wollte, wenn sie alle Ablenkungen ausblendete und all ihre Klugheit einzig auf das Erreichen ihres Ziels verwandte. Sie bedauerte nicht einen Augenblick ihrer harten Arbeit. Sie hatte sich aus dieser spezifischen Form von Südstaatenarmut, die nur für gute Witze, aber nicht zum Leben taugte, aus eigener Kraft befreit. Dann entdeckte sie die Welt des antiken Schmucks für sich, die bald zu ihrem persönlichen Paradies wurde – ein Ort, wo Schönheit regierte und wo sie sich an jedem Fachbuch und jedem neuen Schmuckstück, das sie in die Hände bekam, begeistern konnte.
Und wenn sie gelegentlich, wirklich nur gelegentlich, den kalten, unangenehmen Hauch der Vergangenheit in sich spürte, während sie eines der Goldobjekte prüfte, konnte sie das ebenso gut verkraften, wie sie mit einigen ihrer schlimmeren Erinnerungen aus der Vergangenheit fertig wurde. Nichts davon spielte im Hier und Jetzt für sie irgendeine Rolle. Von Bedeutung war einzig ihre Arbeit, ihr Schlüssel zu einer weit besseren und schöneren Welt als die, in die sie hineingeboren worden war.
Risa liebte ihre Arbeit.
Und sie hatte Angst, sie zu verlieren.
Ohne den Kopf zu bewegen, blickte sie auf die Uhr an der Wand. Im Unterschied zu den meisten Räumen im Golden Fleece besaß ihr Büro eine eingebaute Uhr, die sie bereits in- und auswendig kannte: Hinter ihr lagen gerade die längsten neunzig Minuten ihres Lebens, in denen sie nur darauf gewartet hatte, gefeuert zu werden, weil es ihr nicht gelungen war, den speziellen Publikumsmagneten zu finden, den Shane für seine Druidengold-Ausstellung brauchte.
Nicht dass die kunstvoll gemachten und mit einem Alarmsystem versehenen gläsernen Ausstellungsvitrinen leer waren. In ihnen lagen einige sehr schöne – sogar einige außergewöhnliche – Kunstobjekte aus ganz Europa, die alle einen Stil vertraten, den das einundzwanzigste Jahrhundert als keltisch bezeichnete. Bei der Ausstellung, die Shane haben wollte, lag der Schwerpunkt auf Objekten aus Depotfunden in Irland, Schottland, Wales und England aus einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten.
Unseligerweise waren die meisten der Depots, die je gefunden worden waren, vollständig in den Besitz der Königshäuser übergegangen und von dort in die königlichen Schmelztiegel, um mehr Münzen für die Krone herzustellen. Kriege kosteten viel Geld, die Engländer waren ehrgeizig und antike Kunstwerke wurden nicht geschätzt. Und der Inhalt der Depots, die der Krone nicht angezeigt wurden, war über die Jahrhunderte im Geheimen zu anonymen Goldbarren umgeschmolzen worden.
Als Antiquitäten im achtzehnten Jahrhundert in Mode kamen, wandelte sich das Bild. Die meist aristokratischen Landbesitzer verwahrten alle Funde in ihren Familiensammlungen, anstatt sie wegen ihres Goldgehaltes einzuschmelzen. Vielleicht, aber nur vielleicht landeten Goldobjekte aus solchen Sammlungen schließlich in einem Museum, wo sie von Menschen wie Risa untersucht werden konnten. Viel häufiger geschah es, dass sie von Generation zu Generation unbeachtet weitervererbt wurden.
Ihr Magen grummelte unglücklich. Sie versuchte es zu ignorieren. Doch nun knurrte er lauter.
Shane blickte von dem Auktionskatalog auf, den er unter der Neonlampe durchgeblättert hatte. Er würde sowieso lieber auf Risa schauen. Definitiv von museumsreifer Qualität, aber nicht antik. Lebendig, atmend und …
»Hungrig?«, fragte er.
»Ach, wie kommen Sie bloß darauf? Vielleicht weil ich mich nicht mehr erinnern kann, wann ich die letzte Mahlzeit zu mir genommen habe?«
»Gestern haben sie uns mit Häppchen abgespeist auf dem Flug von L. A. hierher.«
»Ich weiß. Sie haben meine aufgegessen.«
»Sie haben ja geschlafen.«
Dieses Gespräch wollte sie lieber nicht weiter vertiefen, weil sie beim Aufwachen bemerkt hatte, dass ihr Kopf an seiner Schulter lag und er sie mit hungrigen Augen betrachtete. Zumindest dachte sie, es sei Hunger. Aber, was immer es war, es verwandelte sich, bevor sie sich darüber klar werden konnte, sogleich wieder in seine übliche wachsame, aber undurchdringliche Miene.
Sie musste wirklich mit Niall über einen anderen
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