Blutiges Schweigen
bemerkte, wie seine Augen rasch zu mir und dann wieder zum Bildschirm huschten.
»Sie brauchen sich das nicht anzutun«, meinte ich.
»Doch.«
»Ich kann es mir allein anschauen und Ihnen dann alles schildern.«
»Ich muss da durch«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Auf dem Bildschirm änderte Markham seine Sitzposition. Offenbar betrat er völliges Neuland, denn obwohl sich seine Augen mit Tränen füllten, verbreitete er eine seltsame Zögerlichkeit, als machten ihm seine eigenen Gefühle Angst.
Er fuhr fort: »Ich hatte nach der Scheidung von Sue große Schuldgefühle. Deshalb, weil es ihr so schnell immer schlechter ging.« Eine Pause. »Ich habe sie einweisen lassen. Wer steckt denn seine eigene Frau in die Psychiatrie?« Wieder hielt er inne. »Und als sie rauskam, habe ich mich nicht ein Mal mit ihr in Verbindung gesetzt. Ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte, und konnte ihr nicht gegenübertreten oder mich mit ihr auseinandersetzen. Und wahrscheinlich hat er das ausgenutzt. Er hat damit gespielt. Er hat meine Schuldgefühle gegen mich verwendet und mir vermittelt, dass ich vielleicht nie mehr Gelegenheit haben würde, mich zu entschuldigen.«
Healy schüttelte den Kopf. Inzwischen roch ich seinen Schweiß.
»Also habe ich Leanne entführt.«
Als Markham ihren Namen aussprach, fand in Healys Gesicht eine fast unmerkliche Veränderung statt, und mir wurde etwas klar: Er war zu tief verletzt worden, um das, was er nun erfahren würde, jemals verarbeiten zu können. Auch wenn er seine Rache bekam, konnte das die Lücke nicht füllen. All die Enttäuschung, die Wut und die Gewalt, die noch kommen würden – sie waren letztlich bedeutungslos.
»Wahrscheinlich war der Jugendclub der Grund, warum er sich ausgerechnet mich ausgesucht hat«, fuhr Markham fort. »Sicher hat er die Einrichtung und auch Leanne und Megan beobachtet und mich montags dort gesehen. Ich habe mich mit den beiden gut verstanden. Vermutlich vertrauten sie mir. Ich meine …« Er brach ab. »Warum hätten sie das auch nicht tun sollen?«
Ich warf einen Blick auf Healy. Er rührte sich nicht.
»Er nannte Leanne mein Gesellenstück. Ich musste ihr weismachen, dass ich eine Beziehung mit ihr anfangen wollte. Dann musste ich sie in den Wald bringen und sie ihm übergeben. Er hat gedroht, den Kontakt mit mir abzubrechen, sodass ich meine Frau nie wiedersehen würde, falls ich erwischt würde oder Spuren hinterließe.« Kurz wandte Markham den Blick ab. »Also habe ich gehorcht. Ich habe Leanne vermittelt, dass ich sie mochte, und mich in ihr Leben gedrängt. Und als ich sie dann so weit hatte, habe ich sie ihm … zum Fraß vorgeworfen.«
»Healy«, sagte ich.
»Der Film läuft weiter«, entgegnete er.
»Sie können …«
»Er läuft weiter«, zischte er und drehte sich zu mir um. Im Dämmerlicht glänzte etwas in seinem Auge. Im nächsten
Moment wandte er sich wieder dem Fernseher zu, wo Markham aufstand. Er schniefte, ging an der Kamera vorbei – und dann wurde alles dunkel.
Eine Sekunde später fing der Film wieder an.
Markham kam hinter der Kamera hervor und setzte sich. Diesmal wirkte er gefasster. »Ich hatte den Eindruck, dass Megan ihm wichtiger war als Leanne. Keine Ahnung, warum, es war nur so ein Gefühl. Bei Leanne hat er zwar auch alles geplant, aber bei Megan ging er noch sorgfältiger vor. Vielleicht lag es daran, dass Leanne leichter zu haben war. Sie war nicht sehr klug und kam aus kaputten Verhältnissen. Ihre Mutter hatte eine Affäre, und ihr Vater war nie da.«
Ich warf einen Blick auf Healy. Keine Reaktion.
»Megan war anders. Sie hatte reiche Eltern, und Geld eröffnet einem ganz andere Möglichkeiten. Wenn sie verschwand, würden sie dieses Geld sicher auch einsetzen und sogar ihr ganzes Vermögen opfern, nur um sie zu finden. Leanne habe ich ihm einfach besorgt. Doch bei Megan galt eine ganze Reihe von Regeln.«
Wieder sah ich Healy an. Sein Hemd war unter den Achseln und am Kragen durchgeschwitzt. Mit verständnisloser Miene drehte er sich zu mir um. »Was meint er mit Regeln?«
»Ich glaube, den London Conservation Trust«, erwiderte ich und drückte auf PAUSE. »Das war Glas’ Tarnung. Er hat seine Botschaften in gefälschten Newslettern versteckt und ihr die verschiedenen Treffpunkte auf der Webseite mitgeteilt. Sie dachte, die Nachrichten stammten von Markham – aber das stimmte nicht. Sie waren von Glas.«
»Und Megan fand das nicht merkwürdig?«
Ich
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