Blutklingen
und Silbertellern. Aus Ketten und Kelchen und Krönchen. Aus vergoldeten Rüstungen und Waffen. Aus edelsteinbesetzten Dingen aller Art. Die silberne Standarte einer längst untergegangenen Legion war in einem übermütigen Winkel aufgepflanzt. Ein Thron aus seltenen Hölzern, mit Goldblatt verziert, steckte kopfüber in den Schätzen. Es waren so viele Reichtümer, dass es schon absurd wirkte. Unbezahlbare Stücke verkamen durch die reine Masse zu grellem Müll.
»Scheiße«, murmelte sie ein letztes Mal, und sie erwartete, dass das Metallmonster jeden Augenblick erwachen und den winzigen Eindringling mit feuriger Wut vernichten würde. Aber es rührte sich nicht, und Scheus Augen wanderten hinunter auf den Boden. Die Blutstropfen waren eine zusammenhängende Spur geworden, eine immer breitere, und als sie ihr folgte, sah sie Waerdinur, der mit dem Rücken gegen ein Vorderbein des Drachen gelehnt dalag, und Ro an seiner Seite, mit weit aufgerissenen Augen, das Gesicht verschmiert vom Blut, das aus einer Wunde am Haaransatz sickerte.
Scheu rappelte sich auf und kroch den schüsselförmig abgesenkten Boden hinab, dessen Steinplatten unter ihren Füßen über und über mit Schriftzeichen bedeckt waren, und sie umklammerte ihr Schwert, obwohl dieser dünne Splitter Stahl allenfalls eine winzig kleine Beruhigung darstellte.
Sie entdeckte inmitten des Drachenschatzes nun auch andere Dinge, als sie näher kam. Urkunden mit dicken Siegeln. Wechselpapiere. Besitzurkunden für Gebäude, seit langer Zeit verfallen. Testamente über Nachlässe, lange schon aufgeteilt. Anteile an Gesellschaften und Unternehmen, lange schon verschwunden. Schlüssel zu Schlössern, von denen niemand mehr wusste, wo sie sich befanden. Und auch Schädel. Dutzende. Hunderte. Münzen und Edelsteine, roh und geschliffen, quollen aus ihren leeren Augenhöhlen. Welche Dinge wurden mehr geschätzt als die Toten?
Waerdinurs Atem ging inzwischen flach, sein Gewand war blutgetränkt, der zertrümmerte Arm lag schlaff an seiner Seite, und Ro umklammerte den anderen. Scheus abgebrochener Pfeil steckte noch immer nahe der Schulter im Fleisch.
»Ich bin’s«, flüsterte Scheu, die sich fürchtete, die Stimme zu erheben, und die sich nun langsam vorwärts wagte und die Hand ausstreckte. »Ro! Ich bin’s.«
Sie wollte den Arm des alten Mannes nicht loslassen. Er selbst musste ihre Hand nehmen und sie sanft lösen. Er schubste sie in Scheus Richtung, sagte ein paar leise Worte in seiner Sprache und schubste sie noch einmal, jetzt etwas fester. Noch mehr Worte, dann ließ Ro den rasierten Kopf hängen und schlurfte mit Tränen in den Augen von ihm weg.
Waerdinur sah Scheu an, die Augen hell vor Schmerz. »Wir wollten nur ihr Bestes.«
Scheu kniete sich hin und schloss das Mädchen in die Arme. Sie fühlte sich dünn an und steif und widerstrebend, und da war nichts mehr von der Schwester, die sie vor so langer Zeit einmal gehabt hatte. Es war kaum das Wiedersehen, das sich Scheu erträumt hatte. Aber immerhin war es ein Wiedersehen.
»Scheiße!« Nicomo Cosca stand im Eingang der Kammer, starrte den Drachen und sein Lager an.
Feldwebel Freundlich ging darauf zu, ließ ein schweres Beil aus seinem Mantel gleiten, machte einen knirschenden Schritt auf das Lager aus Gold und Knochen und Papiere zu, und die Münzen kamen wie eine kleine Lawine unter seinem Stiefel ins Rutschen. Er beugte sich vor und berührte die Schnauze des Drachen.
Sein Beil rief einen hallenden Klang hervor, als habe er auf einen Amboss geklopft.
»Es ist eine Maschine«, sagte er verblüfft.
»Das heiligste unter den Werken des Schöpfers«, krächzte Waerdinur. »Ein bestaunenswertes, mächtiges Ding, das …«
»Ohne Zweifel.« Cosca lächelte breit, als er nun in die Kammer trat und sich mit seinem Hut Luft zufächelte. Aber es war nicht der Drache, der seinen Blick gefangen hielt. Es war sein Bett. »Über welche Summe reden wir hier, was meinst du, Freundlich?«
Der Feldwebel hob die Augenbrauen und holte tief durch die Nase Luft. »Über eine sehr große. Soll ich zählen?«
»Vielleicht später.«
Freundlich blickte ein wenig enttäuscht drein.
»Hört mir zu …« Waerdinur versuchte sich aufzurichten, und Blut drang rund um den Pfeil in seiner Schulter hervor und befleckte das Gold hinter ihm. »Wir stehen kurz davor, den Drachen zu wecken. Ganz kurz! Die Arbeit von Jahrhunderten. Dieses Jahr … oder vielleicht nächstes. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel
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