Blutklingen
jetzt keine Schwester mehr. Niemand folgt uns.« Und damit ging er zum Bug und begann, sich unter allerlei Gebrumm die Blutspritzer mit einem feuchten Lappen von den piekfeinen Kleidern zu reiben.
»Stimmt das?«, fragte Pit. »Folgt uns niemand?«
»Scheu folgt uns.« Ro zweifelte keinen Augenblick daran, denn das konnte man glauben, Scheu war niemand, die sich vorschreiben ließ, wie die Dinge zu sein hatten. Aber es gab etwas, das Ro nicht sagte, nämlich, dass sie beinahe sogar hoffte, dass Scheu ihnen nicht folgte, weil sie nämlich nicht wollte, dass ihre Schwester mit Pfeilen gespickt würde, und weil sie wirklich nicht wusste, was Scheu überhaupt würde ausrichten können, denn selbst ohne die drei, die abgehauen waren, und die beiden anderen, die den größten Teil der Pferde zum Verkaufen weggetrieben hatten, als es aufs Boot ging, und den einen, den Schwarzspitz umgebracht hatte, führte Cantliss noch immer dreizehn Männer. Sie konnte sich nicht vorstellen, was man dagegen ausrichten konnte.
Sie wünschte jedoch, Lamm wäre bei ihnen, denn er hätte gelächelt und gesagt: »Es ist alles gut. Mach dir keine Sorgen«, so wie er das immer gemacht hatte, wenn es draußen stürmte und sie nicht schlafen konnte. Das wäre schön gewesen.
II
DER TRUPP
»Doch welch wildes Leben,
und welch frische Art des Daseins!
Aber ach, all diese Unannehmlichkeiten!«
HENRY WADSWORTH LONGFELLOW
GEWISSEN UND
SCHWANZFÄULE
B eten Sie?«
Sufeen seufzte. »Nein, ich knie hier mit geschlossenen Augen und koche Haferbrei. Ja, ich bete.« Er öffnete ein Auge einen kleinen Spalt und richtete es auf Tempel. »Möchten Sie vielleicht mitmachen?«
»Ich glaube nicht an Gott, schon vergessen?« Tempel merkte, dass er schon wieder am Saum seines Hemds herumfummelte. »Können Sie ehrlich behaupten, er hätte auch nur einmal einen Finger gerührt, um Ihnen zu helfen?«
»Sie müssen Gott nicht mögen , um an ihn zu glauben. Davon abgesehen weiß ich, dass mir nicht mehr zu helfen ist.«
»Worum beten Sie denn dann?«
Sufeen betupfte sein Gesicht mit seinem Gebetstuch und sah Tempel über dessen Fransen hinweg an. »Ich bete für Sie, mein Bruder. Sie sehen so aus, als hätten Sie es nötig.«
»Ich war in letzter Zeit … ein wenig nervös.« Tempel wurde sich bewusst, dass er nun an seinem Ärmel zupfte, und zog die Hand weg. Um Gottes willen, gaben denn seine Finger keine Ruhe, bis sie jedes Hemd ausgefranst hatten, das er besaß? »Hatten Sie je das Gefühl, dass ein schreckliches Gewicht über Ihnen hängt …«
»Oft.«
»… und dass es jeden Augenblick auf Sie herabstürzen kann …«
»Ständig.«
»… und Sie wissen einfach nicht, wie Sie darunter herauskommen können?«
»Aber Sie wissen es doch.« Eine Pause entstand, in der sie einander betrachteten.
»Nein«, sagte Tempel und trat einen Schritt beiseite. »Nein, nein.«
»Der Alte hört auf Sie.«
»Nein!«
»Sie könnten mit ihm reden, könnten ihn dazu bringen, dass er aufhört …«
»Ich habe es versucht, er will nicht auf mich hören!«
»Vielleicht haben Sie es nicht entschlossen genug versucht.« Tempel hielt sich die Hände über die Ohren, und Sufeen zog sie weg. »Der einfache Weg führt nirgendwohin!«
»Dann reden Sie doch mit ihm!«
»Ich bin nur ein Kundschafter!«
»Und ich bin nur ein Rechtskundiger! Ich habe nie behauptet, ein rechtschaffener Mann zu sein.«
»Das behauptet auch kein rechtschaffener Mann von sich.«
Tempel riss sich los und stakste durch den Wald davon. »Wenn Gott will, dass dies hier aufhört, dann soll er es doch verhindern! Ist er nicht allmächtig?«
»Überlassen Sie Gott niemals etwas, das Sie selbst tun könnten!«, hörte er Sufeen noch rufen, und er ließ die Schultern hängen, als seien die Worte Schleudersteine, die ihm um die Ohren flogen. Der Mann klang allmählich wie Kahdia. Tempel hoffte nur, dass es mit ihm nicht ebenso endete.
Jedenfalls schien niemand sonst in der Kompanie ein Interesse daran zu haben, Gewalt zu verhindern. Im Wald wimmelte es vor begierigen Kämpfern, die ausgeleierte Riemen wieder festzurrten, Waffen schärften, Bögen bespannten. Zwei Nordmänner klatschen sich, mit vor Begeisterung rosafarben glühenden Gesichtern, immer wieder auf den Rücken. Zwei Kanteser waren in eigene Gebete versunken und knieten vor einem Segensstein, den sie mit großer Sorgfalt auf einem Baumstumpf aufgestellt hatten, wenn auch verkehrt herum. Jeder hält Gott für seinen Verbündeten,
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