Blutköder
sympathischer junger Mann – wenigstens klang er jung, attraktiv und männlich, konnte aber genauso gut ein hässlicher alter Kerl mit einer angenehmen Stimme sein – teilte ihr mit, Fetterman’s Abenteuerwelt sei eine eingetragene Firma, geleitet vom Inhaber Woody Fetterman. Das Unternehmen habe sechsundzwanzig Jahre lang unter derselben Adresse firmiert. Woody Fetterman habe keine andere Anschrift. Es habe nie Beschwerden gegen Fetterman’s vonseiten der Kundschaft oder anderen Geschäftsinhabern gegeben. Die Firma habe vor Kurzem aus ihm unbekannten Gründen geschlossen. Er schlug Anna vor, das Fremdenverkehrsamt in Tampa anzurufen, da es sich bei Fetterman’s Abenteuerwelt seiner Ansicht nach um einen Vergnügungspark mit Fahrgeschäften und Ähnlichem handelte. Vielleicht könne man ihr dort weiterhelfen.
Allerdings wusste man beim Fremdenverkehrsamt auch nicht viel mehr. Die Dame am Telefon erbot sich, Anna eine Broschüre zu schicken, konnte dann jedoch keine finden. Anna meinte, da die Firma nicht mehr bestehe, seien die Broschüren vermutlich weggeworfen worden. Die Frau stimmte zu, das könne die Lösung sein. Dennoch notierte sie sich Annas Adresse im Glacier-Nationalpark und versprach, ihr eine Broschüre zukommen zu lassen, falls doch noch eine auftauchen sollte. Anna wäre von so viel Hilfsbereitschaft gerührt gewesen, hätte das stundenlange, nahezu vergebliche Herumtelefonieren sie nicht in schlechte Laune versetzt.
Nach einer Stunde Arbeit hatte sie gerade einmal einen Namen vorzuweisen, falls es sich bei »Woody« um einen wirklichen, nicht nur um einen Spitznamen handelte. Vielleicht war es ja die Abkürzung von Woodrow. Da Woody seine Firma sechsundzwanzig Jahre in denselben Geschäftsräumen betrieben hatte, war er offenbar keine Eintagsfliege. Anna hatte überlegt, ob der Fetterman von Fetterman’s Abenteuerwelt und Bill McCaskil möglicherweise identisch waren. Doch die sechsundzwanzig Jahre änderten das. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass McCaskil unauffällig eine Firma geführt hatte und gleichzeitig mehrfach unter einer Reihe anderer Namen wegen Betrugs festgenommen und angeklagt worden war.
McCaskil stammte aus der Gegend von Tampa – oder hatte zumindest seine Jugend dort verbracht. Vielleicht hatte er den Namen Fetterman ja jeden Tag auf dem Schulweg gesehen und sich daran erinnert, als er ein Alias gebraucht hatte. Wäre der Name nicht im Zusammenhang mit dem Halter des zurückgelassenen Pick-ups aufgetaucht, wäre Anna mit dieser Antwort zufrieden gewesen.
»Woody Fetterman.« Anna telefonierte sich zum Registergericht im Amtsgericht von Tampa durch. Ja, es liege ein Totenschein für Woodrow Fetterman vor. Er sei vor sechs Wochen im Alter von einundachtzig Jahren eines natürlichen Todes gestorben.
Wieder eine Sackgasse. Bill McCaskil, alias Fetterman, war nicht der Fetterman von der Abenteuerwelt. Außerdem konnte er nicht wegen einer Scheidung Kontakt zu Carolyn Van Slyke gehabt haben. Laut Lester hatte McCaskil sie erst im Fifty Mountain Camp kennengelernt.
»Verdammt«, flüsterte Anna. Der Pick-up mit Anhänger. Der Name Fetterman. McCaskil und seine falschen Namen. Als ihr noch eine Möglichkeit einfiel, griff sie wieder nach dem 10-343-Bericht. Carl G. Micou war am 4. August 1938 geboren, also beträchtlich älter als McCaskil. Dennoch konnte »Micou« auch ein Alias von McCaskil sein. Vielleicht stand der Name deshalb nicht auf der Liste, weil er damals, als William McCaskil wegen Immobilienbetrugs vor Gericht gestellt wurde, noch nicht bekannt oder benutzt worden war.
Anna verbrachte weitere vierzig Minuten am Telefon und landete schließlich wieder im Amtsgericht von Tampa. Diesmal dauerte die Suche länger, doch schließlich wurde Mr Micous Totenschein aufgestöbert. Er war im April 1995, also vor knapp sechs Jahren, an Herzversagen gestorben.
»Aber sein Pick-up lebt noch«, seufzte Anna.
»Wie bitte?«
»Ach, nichts. Danke.« Tote und Sackgassen.
Überall in Joans Büro lagen die Informationen herum, die zur Aufklärung des Mordes an Carolyn Van Slyke führen konnten, wenn man seine Fantasie benutzte. Anna hatte das Wenige, was Fetterman und Micou zu bieten hatten, bereits ausgeschöpft. Außerdem hatte sie in Erfahrung gebracht, dass Lesters Frau eine ausgesprochene Schlampe gewesen war. Langsam drehte sie sich auf Joans Bürostuhl um die eigene Achse und ließ die anderen Beweisstücke auf sich wirken. Die Militärjacke mit der topografischen
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