Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
Vom Netzwerk:
Karte und der Karteikarte. Anna rollte den Stuhl näher heran und las die Kopie der Karte noch einmal, die in der Tasche der Jacke, die zweifellos Bill McCaskil gehörte, entdeckt worden war. Oben standen in einer nachlässigen Handschrift die Buchstaben »B & C«. Unter den Initialen waren Zahlen vermerkt, bei denen es sich offenbar um Maße handelte: 12 11/16, 17 13/16, 30 12/16. Die letzte Zahl, 30 8/9 war dick mit Tinte unterstrichen.
    Falls Anna dabei sein sollte, wenn McCaskil geschnappt wurde, würde sie ihn fragen, was diese Zahlen zu bedeuten hatten. Vermutlich gar nichts. Seine Taillenweite. Wer konnte das sagen? Sie musterte die Fotokopie der Landkarte. Da sie verkleinert worden war, bis sie auf zwei zusammengeklebte Papierbögen passte, war der Großteil der Schrift zu winzig, als dass Augen, die seit mehr als vierzig Jahren im Einsatz waren, sie hätten lesen können. Seit Anna sich das Original angesehen hatte, hatte sich nichts verändert. Keine hübschen kleinen Bleistiftanmerkungen an den Rändern, kein großes rotes X am Fundort der Leiche.
    Anna drehte den Stuhl noch ein wenig und warf einen kurzen Blick auf ihre Notizen zum Thema Rory Van Slyke. Rorys Vater war ein Missbrauchsopfer. Rory hatte bei seinem Wiedererscheinen ein Sweatshirt verloren und eine Wasserflasche dazugewonnen gehabt – vermutlich die seiner toten Stiefmutter. Anna ließ zu, dass ihre Gedanken abschweiften. Da sie bis auf eine halbe Tüte Gummibärchen nichts zu Mittag gegessen hatte, war ihr Blutzucker vermutlich so durcheinander, dass ihr Verstand vielleicht auf interessante Möglichkeiten stoßen würde. Die Eingebung blieb aus. Anna erinnerte sich nur an die Nacht auf dem Flattop Mountain, als Joan die verstreuten Überreste des vom Bären verwüsteten Lagers aufgeteilt hatte. Die Sachen, die sie und Anna einfach in einen Sack gestopft hatten, bevor sie mit Harry aufgebrochen waren, um den vermissten Jungen zu suchen. Bei dieser Gelegenheit hatte Anna die überzählige Wasserflasche in dem Sack neben dem merkwürdigen Stück Holz entdeckt, auf das sie in der Nähe des Lagers gestoßen war.
    Anna hatte noch deutlich vor Augen, dass Rory abgestritten hatte, von dem Stück Holz zu wissen. Genauso wie er angeblich keine Ahnung hatte, wie es zu der Vermehrung der Wasserflaschen gekommen war. Das Stück Holz war gute dreißig Zentimeter lang. Es handelte sich um Hartholz, nicht um Fichte oder Espe, und war nicht verwittert. Da Anna und Joan daraus geschlossen hatten, dass es noch nicht lange dort liegen konnte, hatten sie ihren Fund aufbewahrt. Rory behauptete, das Stück Holz nie zuvor gesehen zu haben. Damals hatte Anna sich nichts dabei gedacht. Schließlich war es nur ein Stück Holz, keine Dynamitstange. Nun grübelte sie darüber nach, denn es fügte sich so gut in ihre Sammlung von unerklärlichen Dingen ein, die nicht zusammenpassten.
    Anna hatte das Stück Holz behalten. Aus reiner Gewohnheit hatte sie es eingesteckt, wie jeden anderen weggeworfenen Gegenstand. Falls sie nicht Besuch von einem Einbrecher gehabt hatten, lag es sicher noch auf dem Boden in Joans Gästezimmer, denn Anna hatte es beim Auspacken vor ihrem letzten Ausflug in die Wildnis dort vergessen.
    Dieser Gedanke sorgte dafür, dass sie nach einem Lineal griff, das etwa die gleiche Länge hatte wie das geheimnisvolle Holzstück, und damit herumspielte. Falls Rory die Wahrheit sagte, hatte ein anderer es auf der Wiese verloren, und zwar ungefähr um die Zeit, als sie dort ihr Lager aufgeschlagen hatten. Also nicht länger als einen oder zwei Tage vor ihrer Ankunft. Holz, selbst Hartholz, verwitterte im Freien ziemlich rasch.
    Anna schwenkte das Lineal, um auszuprobieren, aus welchen Gründen man ein bearbeitetes Stück Hartholz, um einiges dicker als ein Lineal, in der Wildnis mit sich herumschleppte. Ein Holzschnitzer, der hoffte, in den Bergen von der Muse geküsst zu werden, mochte ein Stück wertvolles Holz mitnehmen. Wenn ihr Gedächtnis sie nicht trog, war das von ihr und Joan gefundene Holz abgenützt und abgegriffen gewesen. Möglicherweise ein Holzschnitzer, der nur selten Inspiration verspürte.
    Obwohl sie der Kante des Lineals damit keinen Gefallen tat, klopfte sie beim Überlegen leicht auf die Armlehne ihres Stuhls. Das leise Knacken, das sie dabei erzeugte, ließ sie zusammenzucken. Vor und möglicherweise auch während des Bärenangriffs auf ihr Lager hatte sie das Knacken von Holz gehört. Das gleiche Geräusch hatte sie aus ihrem

Weitere Kostenlose Bücher