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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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wie auf der Fifth Avenue nach einer Konfettiparade. Das Gespräch mit Joan und Rory hatte etwas ausgelöst. Die Finger hinter dem Kopf verschränkt und den Blick auf die absolute Finsternis vor dem Netz ihres Zelteingangs gerichtet, lag Anna gemütlich in ihrem Schlafsack und wartete darauf, dass sich das sinnstiftende Bruchstück von den anderen absonderte. Das Füttern von Bären – Bären als Jagdtrophäen – flatterte vorbei. Boone und Crockett. Das war die Lösung! Boone und Crockett, das höchste Qualitätsurteil, wenn es um die Einstufung von Jagdtrophäen ging. Darum, zu bestimmen, wo ein Tier, auf der Grundlage seines Schädelumfangs, in der Rangordnung der Größten und Besten einzuordnen war – nach dem Tod natürlich.
    In der Tasche der Militärjacke, in der Carolyn Van Slyke tot aufgefunden worden war und die aller Wahrscheinlichkeit nach William McCaskil gehörte, hatte ein Stück Papier gesteckt, auf dem oben die Buchstaben »B & C« vermerkt waren. Darunter stand eine Liste von Zahlen. Boone und Crockett und die Maße eines als Jagdtrophäe gedachten Tiers, darauf wäre Anna jede Wette eingegangen. Am Morgen würde sie Ruick anfunken und ihn bitten, diesen Punkt zu überprüfen.
    Allerdings konnte Anna keinen Zusammenhang zum Mord an Mrs Van Slyke feststellen. Hatte Carolyn das Tier gesehen und fotografiert und war deshalb getötet und verstümmelt worden? Hatte man ihr darum den Film gestohlen? Im Glacier gab es keine Bären von Trophäengröße. Doch es lebten auch andere Tiere hier: Wapitis, Elche und Berglöwen. Nur, dass diese keine Erklärung für das Allesfresserfutter waren. Und wer tötete und verstümmelte eine Frau, nur weil sie besagtes Tier fotografiert hatte? Wie konnte man in eine verfängliche Situation mit einem zur Jagdtrophäe bestimmten Tier geraten? Dass der Wilderer seine Beute im Rucksack fortschaffte, war machbar. Schließlich brauchte er nicht das ganze Tier, sondern nur den Schädel.
    Eine abscheuliche Vorstellung.
    Anna schüttelte in der Dunkelheit den Kopf. Durch gewaltige geistige Anstrengung hatte sie ein weiteres kleines Geheimnis gelüftet, nämlich, was die Liste in der Militärjacke zu bedeuten hatte. Und noch immer war sie der Lösung keinen Schritt näher gekommen.
    »Schläfst du, Joan?«, flüsterte sie, einer Eingebung folgend.
    Aus dem Nachbarzelt erfolgt keine Antwort.
    »Also gute Nacht«, sagte Anna und schaltete entschlossen ihr Gehirn für diese Nacht ab.
    Die Arbeit tat gut: Anstrengung, Hitze, Bremsenstiche. Sich mit einem schweren Rucksack beladen durchs Gebüsch zu quälen war eine von Annas Stärken. Wie das Bekämpfen eines Waldbrandes war es so erfrischend hirnlos, weil man seine gesamte Konzentration aufbringen musste, um aufrecht stehen zu bleiben und seinen Auftrag zu erfüllen. Joan Rand war ein weiterer Glücksfall. Wenn Anna einem Vorgesetzten vertraute, empfand sie es als ausgesprochen erleichternd und angenehm, einfach nur Anweisungen zu befolgen.
    Kurz nach zwei Uhr nachmittags war die Haarfalle fertig. Rory war überzeugt, dass an diesem Standort nicht viel herausspringen würde. Seiner Ansicht nach war der nordamerikanische Grizzly zu intelligent, um sich so abzumühen wie sie gerade eben, nur um sich in einer Lösung aus verfaultem Fisch zu wälzen und ein paar Heidelbeeren zu fressen.
    Allmählich benahm sich Rory wie ein richtiger Jugendlicher, nicht mehr wie der eingeschüchterte und argwöhnische Schatten eines Erwachsenen, als den Anna ihn kennengelernt hatte. Inzwischen genoss sie seine Gesellschaft. Joan hatte ihn von Anfang an gemocht. Allerdings sah sie heranwachsende Jungen mit den Augen einer Mutter, während Anna eher den Blickwinkel einer Bewährungshelferin hatte.
    Nachdem die fünfundzwanzig Meter Stacheldraht in einem unregelmäßigen Kreis rings um eine nur in Joans Fantasie ebene Fläche befestigt worden waren, machten sich die drei daran, auf Hinterteil und Absätzen den Hang zum Pfad hinunterzurutschen.
    Die nächste Falle, die abgebaut werden musste, befand sich in der Nähe des Lagerplatzes. Ein wahrer Luxus: Da sie deshalb mehrere Nächte dort verbringen würden, brauchten sie tagsüber nicht ihre gesamte Ausrüstung mit sich herumzuschleppen.
    Als sie, begleitet von verhältnismäßig wenig Geschimpfe und einigermaßen unversehrt, den Pfad erreicht hatten und erst einmal tief durchatmeten, hallte Joans Codenummer aus dem Funkgerät. Es war Ruick, der Anna sprechen wollte.
    »Für Sie ist ein Fax gekommen«,

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