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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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sie ihren dunklen Schatten auf Joans sonniges Gemüt geworfen hatte. »Aber manchmal denke ich auch an schöne Dinge.« Sie erinnerte sich an Joans Vortrag über Regenbogen, Rosen und Kätzchen mit Schnurrhaaren.
    »Nenn mir eines«, forderte Joan sie heraus.
    Als Anna ratlos schwieg, lachte Joan ihr wunderschönes Lachen. Ihre Freude und ihr Spaß an der Absurdität des menschlichen Daseins perlten die Tonleiter hinauf und hinunter. »Das weiß ich«, fügte sie versöhnlich hinzu. »Es war nicht fair von mir, dich um diese Uhrzeit mit einer solchen Frage zu überfallen.«
    Anna nahm die Entschuldigung zwar an, doch ihr eigenes Versagen machte ihr zu schaffen, und endlich hatte sie einen Geistesblitz. »Kätzchen. Nicht nur die Schnurrhaare, sondern das ganze Paket.«
    Wieder das Lachen. Nachdem es verstummt war, wurde Joan ernst, und Anna wartete auf das Unvermeidliche. Sie brauchte sich nicht lange zu gedulden.
    »Hältst du Rory für den Mörder?«, hakte Joan nach.
    Wie gerne hätte Anna das ihrer Freundin zuliebe verneint, aber sie beschloss, sie nicht mit einer Halbwahrheit abzuspeisen. »Ich sehe nicht, wie er es getan haben soll«, antwortete sie stattdessen. Das war wenigstens ehrlich.
    Ein Klopfen an der Tür rettete sie davor, diesen Weg hinein in die Dunkelheit weitergehen zu müssen.
    »Ich mache auf«, sagte Anna, während Joan »Herein!« rief. Offenbar waren sie beide froh über die Störung.
    Ron, der Mitarbeiter des Bärenteams, der sie vor vier Nächten mit dem Auto zum Anfang des Flattop Trail mitgenommen hatte, kam zur Eingangstür herein. Da sich diese vier Nächte für Anna zu Jahren ausgedehnt hatten, erinnerte sie sich erst an Rons Namen, als Joan ihn begrüßte.
    Ron war ein Bär von einem Mann, eignete sich also sehr gut für seinen Beruf. Offenbar stammte er von gedrungenen, sonnengebräunten Vorfahren ab, war mittelgroß und hatte dichtes schwarzes Haar, einen schimmernden kurz gestutzten Bart und buschiges schwarzes Brusthaar, das ihm aus dem Ausschnitt des Uniformhemdes quoll.
    »Immer hat Joan den ganzen Spaß«, meinte er ernst, während er seine einhundert Kilo mit kindlicher Unbekümmertheit, was die Höchstnutzlast des Möbelstücks anging, in einen altersschwachen Fernsehsessel fallen ließ. »Und weil ich freihatte, als der Suchtrupp zusammengetrommelt wurde, war ich nicht einmal dort dabei.
    Wollen wir mal schauen, was ihr von der Abenteuerbrigade alles verpasst habt? Tom vom Stützpunkt in Polebridge« – damit meinte Ron die Station am nordwestlichen Rand des Nationalparks – »musste einen ausgeschlachteten Pferdeanhänger abschleppen, der falsch geparkt war. Der Himmel weiß, was darin transportiert worden ist. Die Drogenhunde waren zwar misstrauisch, haben aber nichts gefunden.
    Alicia auf der Ostseite hatte eine Frau, die glaubte, einen Herzinfarkt erlitten zu haben. Atemnot, Blässe, also hat sie sie mit dem Helikopter ausfliegen lassen. Wie sich herausstellte, war es nicht das Herz. Die Dame war siebenundachtzig und hatte sich einfach nur übernommen. Wenn das arme alte Mädchen die Rechnung kriegt, wird es wahrscheinlich wirklich umkippen.
    Und während ihr im wilden Glacier-Nationalpark, dem weltweiten Zentrum des Verbrechens, über Leichen gestolpert seid, hat euer Freund und Helfer hier Leben und Ehre aufs Spiel gesetzt, um ein Eichhörnchen aus dem Zelt einer Dame aus Virginia zu scheuchen.«
    Wieder Gelächter von Joan. Zu viel wegen des nur am Rande komischen Zwischenfalls mit dem Eichhörnchen. Joan lachte oft. Auf diese Weise machte sie dem Druck Luft, der sich in ihrem Schädel aufbaute, denn ihre gütiges Naturell und ihre Anteilnahme gestatteten ihr keine düstereren oder gewaltsameren Ausdrucksformen. Allmählich konnte Anna ihre verschiedenen Arten zu lachen auseinanderhalten. Diesmal war es spitz vor Erleichterung über den Themenwechsel.
    Allerdings war dieser nicht von Dauer.
    »Erzählt mir alles«, sagte Ron. »Ich habe bis Mitternacht Dienst, also lasst euch ruhig Zeit.«
    Anna und Joan spielten einander mühelos die Bälle zu und vermittelten ihm ein Bild der letzten vier Tage im Hochland. Joan hatte ein feines Gespür, sodass weder sie noch Anna die Wasserflaschen, den genauen Fundort der Leiche, den Inhalt des entdeckten Rucksacks oder andere Einzelheiten erwähnten, die Ruick im Rahmen der Ermittlungen möglicherweise geheim halten wollte.
    »Mannomann«, rief Ron aus, als sie fertig waren. »Das kann jeder x-Beliebige gewesen sein. Aber warum

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